Workshop Chronistenpflichten. Die Nachkriegsliteratur und die "Vergangenheit, die nicht vergeht"
Workshop des DFG Projekts Literarische Chronistik der Moderne
Halle, 12.-13.4. 2024, im Hallischen Saal, Universitätsring 5
Organisiert von Leon Bertz und Daniel Weidner
Im Mai 1989 sprach Christoph Hein angesichts des Historikerstreites über den Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus vom „Dilemma des Chronisten“: Auch wenn weder Historiker:innen noch Schriftsteller:innen der Geschichte einen Sinn geben könnten, so könnten sie doch Sinnfragen nie ausweichen, weil sie ihr Geschäft in der Öffentlichkeit betrieben und niemals reine Wissenschaft oder reine Literatur produzierten. Die deutsche Geschichte bleibe eine „Vergangenheit, die nicht vergeht“ und lasse sich nicht einfach normalisieren. Gerade im Gedächtnis der Täter – „Hitler war und bleibt unser Bruder“ – bleibe die Vergangenheit „eine unveränderbare Größe, unkorrigierbar und insofern unmenschlich“. Mit Marx gesprochen, sei die Geschichte die „Tradition aller toten Geschlechter, die wie ein Alb auf den Häuptern des Lebenden lastet“ und bleibe auch in der Gegenwart „unlösbar und unvergänglich, verstörend und zerstörend.“ Wie, so lässt sich das erwähnte „Dilemma“ formulieren, kann von dieser Vergangenheit so erzählt werden, dass ihr Verstörendes wie Unlösbares zum Ausdruck kommt? Und warum wird das hier mit der Figur des Chronisten assoziiert? Der Workshop soll sich anhand dieser Figur und der mit ihr verknüpften Schreibweisen dem Thema der Vergangenheitsbewältigung in der deutschen Nachkriegsliteratur annähern.
12.04.
14:00 Uhr: Begrüßung und Einführung: Literarische Chronistik der Moderne
14:30 Uhr: Daniel Weidner (Halle): Zeitverschiebungsmaschinen. Geschichte, Montage und Chronik bei Walter Kempowski
15:30 Uhr: Pause
16:00 Uhr: Stephan Pabst (Halle): Chronisten des Krieges. Walter Kempowskis ‚Echolot‘ und Ales Adamowitschs/ Daniil Granins ‚Blockadebuch‘
17:00 Uhr: Sascha Feuchert (Gießen): Eine Verpflichtung für die (nicht nur literarische) Nachwelt: Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt 1941-1944.
19:00 Uhr: Lesung mit Martin Gross: Das letzte Jahr und Ein Winter in Jakuschevsk (findet statt im Literaturhaus Halle!)
13.04.
09:00 Uhr: Kristina Mateescu (Heidelberg): Diaristik der Inneren Emigration und ihre Reinszenierung nach 1945
10:00 Uhr: Kevin Drews (Lüneburg): ‚ein Registrieren von Impulsen, Aussagen, Erinnerungsbildern‘. Chronistisches Schreiben in Peter Weiss‘ Die Ästhetik des Widerstands
11:00 Uhr: Pause
11:30 Uhr: Jens Birkmeyer (Münster): Chroniken durch Konstellation. Alexander Kluge als Chronist der Bauformen von Unglück
12:30 Uhr: Mittagsimbiss
13:00 Uhr: Leon Bertz (Halle): Zerstörung schreiben: Hubert Fichtes Versuch über den Juli 1943
14:00 Uhr: Daniel Fulda (Halle): Wie viel fake news darf sich ein literarischer Chronist erlauben, wenn es um NS-Themen geht? Beobachtungen am Fall Menasse