'Chronik der laufenden Ereignisse'. Literatur und Zeitgeschichte
Workshop, 2.3. und 3.3.2023 in Halle
Organisiert von Leon Bertz, Kevin Drews und Daniel Weidner
Plakat Chronik Workshop
Seit der Covid-19-Pandemie sind einige literarische Versuche entstanden, den medizinischen, geschäftlichen, politischen, kulturellen Ausnahmezustand zu dokumentieren. Vom klassischen Feuilleton über digitale Tagebücher und Blogs bis hin zu ersten Covid-Romanen (Marlene Streeruwitz: So ist die Welt geworden. Der Covid-19-Roman; Juli Zeh: Über Menschen; Lia Yiwu: Wuhan. Dokumentarroman) verarbeiten Texte die zeitgeschichtliche Zäsur und beanspruchen, deren spezifische Dynamik zwischen Ereignis, Erlebnis, Erfahrung und Deutung darzustellen. Auffällig ist dabei, dass viele dieser Texte zunächst für und im digitalen Raum entstehen und erst sekundär im Druck publiziert werden. AutorInnen werden somit zu synchronen ChronistInnen, die mitunter Tag für Tag die Pandemie-Zeit vergegenwärtigen. Dieses Phänomen nimmt der Workshop zum Anlass, um das Verhältnis von Zeitgeschichte und Literatur auch historisch zu erfassen.
Die Interaktionen und Verflechtungen von Literatur und Historiographie sind vielfältig und sowohl von der Literatur- als auch von der Geschichtswissenschaft breit diskutiert worden. Spätestens seit Hayden White hat sich diese Diskussion auf das Verhältnis von Fiktionalität und Faktualität im Raum des Narrativen konzentriert. Im Zentrum jüngerer Debatten steht zum einen das Verhältnis von Geschichtsschreibung, Literatur und kulturellem Gedächtnis, zum anderen das der Literatur zugeschriebene Potenzial, gängige Geschichtsnarrative kritisch und metahistoriographisch zu reflektieren und zu dekonstruieren. Der Workshop schließt an diese Diskussionen an, konzentriert sich aber auf zwei Aspekte, die bisher eher am Rande gestanden haben: Auf das Verhältnis von Literatur und Zeitgeschichte und auf die Rolle konkreter, oft auch nicht-narrativer Verfahren der Vertextung historischer Ereignisse.
Wie wurden zu unterschiedlichen Zeiten zeitgeschichtlich markante Ereignisse aufgeschrieben? Welche Verfahren wurden benutzt und wie wurde mit unterschiedlichen Materialien (Zeitungen, Dokumente, Tagebücher) umgegangen? Wie wurde die Zeitlichkeit bzw. Ereignishaftigkeit des Berichteten modelliert? Welche medialen Poetiken verbinden sich mit der simultanen Aufzeichnung im Netz? Wie verhält sich das zu verschiedenen Geschichts- bzw. Gegenwartskonzeptionen?
Programm
Donnerstag, 02.03.2023
13.00 – 13.30: Begrüßung und Einführung (Daniel Weidner)
13.30 – 14.30: Theo Jung (Halle): Historische Tagebuchforschung: Themen, Thesen, Tendenzen
14.30 – 15.30: Katharina Eger (Halle): Angekommen in der Transformation? Selbstverortungen im Umbruchsgeschehen bei ostdeutschen Teilnehmer:innen im Tagebuchprojekt des ZiF (1990-1997)
16.00 – 17.00: Nora Ramtke (Bochum): Die Anthologisierung der Gegenwart: Überlegungen zur "Sammlung der deutschen Kriegs- und Volkslieder des Jahres 1870"
17.00 – 18.00: Kevin Drews (Halle): August 1914 – Chronik als Konkursmasse oder Rohstoff von Zeitgeschichtsschreibung?
18.00 – 18.30: Vorstellung des Projekt-Blogs „Chronistik“ (Leon Bertz)
Freitag, 03.03.2023
09.00 – 09.30: Rekapitulation
09.30 – 10.30: Felix Kraft (Halle): Bestandsaufnahme des überwundenen Faschismus. Der Bestseller "Am grünen Strand der Spree" (1955) von Hans Scholz.
10.30 – 11.30: Steffen Hendel (Halle): Demokratisierte Sinngebungen in Radio-Features der deutschen Nachkriegszeit
12:00 – 13.00: Szilvia Gellai (Wien): Szenenbild, Collage, Glossar. Zu Friedrich von Borriesʼ chronistischen Strategien
13.00 – 14.00: Eckhard Schumacher (Greifswald): „Es ist nicht abzusehen, was das heißt, dass jetzt eine neue Ära beginnt“ – Zeitmitschrift und Zeitreflexion in Corona-Tagebüchern
14.00: Abschluss und Mittagsimbiss