Lehrveranstaltungen
Sommersemester 2023
Literatur und Zeitgeschehen im 19. Jahrhundert. Texte, Medien, Netzwerke (mo 16-18)
Journalismus, so formulierte es Robert Prutz 1845, sei wie ein Tagebuch, in dem die Gegenwart ein Selbstgespräch führt und „ihre laufende Geschichte in unmittelbaren, augenblicklichen Notizen einträgt.“ Mit dem Zeitschriftsteller tritt im 19. Jahrhundert ein neuer Autorentypus auf, der dieses öffentliche Gespräch forciert. Schriftsteller wie Heinrich Heine oder Ludwig Börne widmen einen Großteil ihrer Zeit der Produktion journalistischer Texte, wobei die Grenzen zwischen literarischer und politischer Publizistik fließend sind. Dabei beanspruchen sie, Repräsentanten einer neuen literarischen Epoche in Abgrenzung von Klassik und Romantik zu sein, was bis heute in literaturgeschichtlichen Epochenkonstruktionen nachwirkt.
Das Seminar bietet einen Überblick über verschiedene gegenwartsbezogene Schreibweisen und fragt: Welche Schreibverfahren wenden die Autoren für ihre kritischen Gegenwartsdiagnosen an? Welches Zeitbewusstsein artikulieren sie dabei? Wie beschreiben sie die stark beschleunigten Modernisierungsprozesse, die im 19. Jahrhundert alle Lebensbereiche betreffen? Wie positionieren sie sich zu ereignisgeschichtlichen Zäsuren wie Revolutionen oder Kriegen, zum industriellen Strukturwandel, zur Arbeiter- und Frauenbewegung? Im Mittelpunkt des Seminars stehen kleine, oft seriell verfahrende Textformen, die in Episoden von der Gegenwart erzählen und sie deuten, wie der Brief, das Reisetagebuch, der Zeitungsartikel, die Theaterrezension, das essayistische Zeitbild oder der Feuilletonroman.
In der ersten Hälfte des Seminars beschäftigen wir uns mit Autoren des ‚Vormärz‘ (H. Heine, L. Börne, C.D. Grabbe). In der zweiten Hälfte widmen wir uns Texten aus exemplarischen Zeitschriften im Umfeld des bürgerlichen Realismus (Die Grenzboten, Die Gartenlaube). Das Seminar setzt die Bereitschaft zur engagierten Lektüre unterschiedlicher literarischer Texte voraus. Für die einzelnen Sitzungen werden Expertengruppen gebildet, die sich vertiefend mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen und die Sitzungen moderieren.
++ Lektüre zur Vorbereitung: Jürgen Habermas: Zeitgenosse Heine. Endlich ist er „unser“ – aber was sagt er uns noch? [Dankrede anlässlich der Verleihung des Heinrich-Heine-Preises der Stadt Düsseldorf 2012, siehe Stud.IP] ++
Lehrveranstaltungen aus früheren Semestern
- WiSe 2022/23: Zergliedern - verschieben - arrangieren: Verfahren der Montage in der Literatur des 20. Jahrhunderts (Universität Halle)
- SoSe 2022: Kriegsdarstellungen in der Literatur des 20. Jahrhunderts (Universität Halle)
- SoSe 2020: Nüchternheit und Rausch in Literatur und Ästhetik seit 1800 (Universität Hamburg)
- WiSe 2019/20: Der Schriftsteller als kritischer Zeitgenosse. Literatur und Politik zwischen 1918 und 1933 (Universität Hamburg)
- SoSe 2019: Das Groteske in der Literatur (Universität Hamburg)
- WiSe 2017/18: Probe und Probieren. Theatrale, literarische und theoretische Modelle (zusammen mit Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer an der Universität Hamburg)