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Lehrveranstaltungen

Neuer Master-Studiengang: M.A. Literaturwissenschaft (Komparatistik | Germanistik | Romanistik | Slavistik) (120 LP)

Der interphilologische Master-Studiengang ist neu konzipiert und wird zum Wintersemester 2024-25  zum ersten Mal angeboten. Verschiedene literaturwissenschaftliche  Abteilungen, darunter die Komparatistik, haben sich zusammengeschlossen,  um ein  vielfältiges Angebot mit einer intensiven und individuellen  Betreuung zu  verbinden.

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Übersicht

Kurse und Vorlesungen in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft

Wintersemester 2024-25

Ringvorlesung Perspektiven der Literaturwissenschaft: Texte und Lektüren / Prof. Dr. Robert Fajen, Prof. Daniel Weidner, u.a.

Die Ringvorlesung gehört zu einem Modul, das sich an Studierende des 1. Semesters im neuen Master „Literaturwissenschaft“ sowie an interessierte Hörer*innen richtet. Vertreter*innen der literaturwissenschaftlichen Fächer präsentieren am Beispiel bedeutender Texte unterschiedlicher Epochen und Genres die methodisch und theoretisch vielfältigen Möglichkeiten literaturwissenschaftlicher Analyse und Interpretation. In jeder Sitzung wird jeweils ein bedeutendes Werk besprochen, welches als Knotenpunkt internationaler literarischer Kommunikation betrachtet wird, sei es im Sinne seiner Entstehung, seiner Rezeption oder seiner Theoriegeschichte. Die zu besprechenden Texte sollten wegen ihrer Relevanz über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg gewirkt haben bzw. immer noch wirken und für alle literatur-wissenschaftlichen Fächer von Interesse sein. Dies trifft insbesondere auf kanonische, ‚große‘ Werke der Weltliteratur zu, schließt aber auch weniger prominente Texte nicht  aus, sofern sie intensiv rezipiert wurden bzw. werden. Historisch soll ein weiter Bogen von der Odyssee bis zum beginnenden 21. Jahrhundert geschlagen werden. Dass die Textauswahl der Vorlesung lückenhaft und exemplarisch ausfallen muss, versteht sich von selbst, ist jedoch unproblematisch, weil nicht Überblickswissen, sondern – gemäß dem Programm des Masterstudiengangs – das ‚weltgenerierende‘ Potential literarischer Texte in ihrer jeweiligen fachlichen Perspektivierung vermittelt werden soll. Grundsätzliche Probleme der Kanon-Bildung und der Literaturgeschichtsschreibung werden einführend in der ersten  Vorlesung diskutiert.

Positionen und Arbeitsweisen der Literaturwissenschaft / Prof. Dr. Daniel Weidner

Dieses Seminar dient als Einführung in die literaturwissenschaftlichen Masterstudiengänge, kann aber auch von LA Mastern und Fortgeschrittenen Masterstudierenden besucht werden, die ihr Fach besser kennenlernen wollen. Sie sollen darin ihre Lektürekompetenzen und Theoriekenntnis vertiefen und in die Lage versetzt werden, selbständig zu forschen. Wir blicken auf das bereits Gelernte zurück und prüfen durch gemeinsame Textarbeit unsere Lektüre- und Interpretationspraxis. Wir beschäftigen uns mit den Geschichten der jeweiligen Fächer und lesen Texte zum grundsätzlichen Selbstverständnis. Wir üben das Schreiben, indem wir  miteinander schon geschriebene Hausarbeiten diskutieren und uns über wichtige Probleme wissenschaftlichen Schreibens (Zitateinbettung, Literaturverwendung, Arbeitsökonomie etc.) austauschen. In Gruppen beschäftigen wir uns mit Texten der Gegenwartsliteratur, zu denen wir Essays verfassen und an denen wir gemeinsam mögliche Fragestellungen entwickeln und diskutieren.

Dieser Kurs ist Teil des Moduls Perspektiven der Literaturwissenschaft des neuen MA Literaturwissenschaft.

Naives Erzählen / Dr. Robert Buch

In diesem Seminar setzen wir uns mit der langen Tradition naiven Erzählens auseinander. Worin liegt diese vermeintliche Naivität? Was macht ihren offensichtlichen Reiz aus? Und woran liegt es umgekehrt, dass sie häufig verdächtigt wird, falsch zu sein, Verstellung, eine Maske? Naivität hat, so scheint es, ein doppeltes Gesicht. Als Unschuld und Unbefangenheit wird sie idealisiert, oft aber im gleichen Atemzug damit als unwiderruflich vergangen vorgestellt; als Unbedarftheit und ‚selbstverschuldete‘ Unwissenheit ist sie hingegen Gegenstand der Distanzierung, wenn nicht gar der kategorischen Abfertigung. Naiv ist, was man auf keinen Fall (mehr) sein möchte; naiv sind die, mit denen man eigentlich gar nicht ‚vernünftig‘ reden kann. Und doch kann Naivität auch Anlass für Wehmut und nostalgische Gefühle sein. Das Phänomen eignet sich also offensichtlich gleichermaßen zur Idealisierung wie zur Ridikülisierung. Der Kurs widmet sich einer Reihe von Texten, in denen Naivität eine zentrale Rolle spielt, ob auf Seiten der Erzählinstanz, der Figuren oder der Darstellung selbst. So scheinen einige Erzählformen und -perspektiven mit dem unvermeidlichen Stigma oder Charme des Naiven verbunden. Man denke beispielsweise an Märchen oder an das einst populäre Genre der Idylle wie überhaupt an die lange Tradition der Bukolik. Bestimmte Erzählperspektiven, so beispielsweise die von Kindern, werden unweigerlich mit Naivität assoziiert. Zu den möglichen Texten, mit denen wir uns befassen werden, gehören Erzählungen von Adalbert Stifter, Franz Kafka und Christine Lavant, Johann Peter Hebels Kalendergeschichten, Prosa von Robert Walser, Marieluise Fleißer und Bohumil Hrabal sowie Ford Madox Fords Roman The Good Soldier (dt. Die allertraurigste Geschichte).

Kolonialismus und Postkolonialismus / Prof. Dr. Daniel Weidner

Die europäische Kolonialisierung der Welt hat die Wirklichkeit und damit auch die Literatur radikal verändert. Sie ist ein entscheidender Impuls für die Globalisierung und hat zu interkulturellen Begegnungen, aber  auch zu radikaler Ungleichzeit und zu aller Art von Projektionen über andere ‚Rassen‘ und Kulturen geführt. Der Kolonialismus war im- oder explizit zentral für das Selbstverständnis der europäischen Moderne und hat in den Kolonien zu radikalem kulturellen und gesellschaftlichem Wandel geführt. Und er wirkt auch nach seinem offiziellen Ende fort, nicht zuletzt auch in der radikal verschiedenen Erinnerung und in der post- und dekolonialen Kritik. All diese Entwicklungen haben auch literarisch ihren Niederschlag gefunden: von der Reiseliteratur über den Exotismus zur kritischen Auseinandersetzung mit Differenz und Ungleichheit.
Das Seminar soll in die literarische Imagination des Kolonialismus und  die postkoloniale Kritik der andauernden kolonialen Kondition der Moderne einführen, der Schwerpunkt liegt dabei auf Afrika und der deutschsprachigen Literatur. Wir lesen in dem Seminar klassische Texte über den Kolonialismus, darunter Joseph Conrad: Heart of Darkness (1899) und Uwe Timm: Morenga (1981) sowie einige Ausschnitte der Kolonialliteratur um 1900. Wir beschäftigen uns mit der kritischen postkolonialen Theorie (Franz Fanon und Achille Mmbeme), mit verschiedenen postkolonialen Romanen aus Afrika (Achebe, Kourouma, Thiongo, Ngangan) sowie einigen Versuchen aus der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, sich mit dem Erbe des Kolonialismus auseinanderzusetzen.

Zur Einführung lesen Sie Joseph Conrad: Heart of Darkness/Herz der Finsternis (Ausgabe egal). Zur Vertiefung auch Alexander Honold/Klaus Scherpe (Hg.): Mit Deutschland um die Welt (2004). Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte (2016); Rebekka Habermas: Skandal in Togo (2016).

Schmerzen haben: Funktionen und Motive körperlicher Pein in der Literatur / Leon Bertz

Physisches Leid ist meistens unerträglich und häufig ziemlich zwecklos. Wahrscheinlich nimmt der Schmerz wegen dieser Negativität eine so unpopuläre Stellung unter den bekannten Gefühlsregungen ein. Und tatsächlich haben Schmerzen etwas unleugbar Destruktives an sich: Wenn der eigene Körper quält, zerstört das Empfinden jeden Sinn für Anderes, Angenehmeres. Aber die Isolation durch den Schmerz hat paradoxer- und grausamerweise auch ihr Positives, das  in der Literatur über dieses Thema genau wie das Negative immer wieder eine Rolle spielt. 'The Making and Unmaking of the World' hat Elaine Scarry ihre wegweisende Studie 'The Body in Pain' (1985) untertitelt. Und diese Formel ist keine Phrase: Zwar vernichtet Schmerz unsere  Beziehungen zur Welt, stellt sie auf besondere Weise aber auch immer wieder her. Im Leid erleben wir schmerzhaft eine besondere Selbsterkenntnis und Kontaktaufnahme mit der Wirklichkeit. Die Literatur greift diese reizvolle Funktion des Peinvollen auf. „Wir brauchen […]  die Bücher, die auf uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr schmerzt“ hat Kafka in einem bekannten Brief geschrieben. Im Seminar beschäftigen wir uns deshalb mit Texten, die wehtun und Texten übers Wehtun. Dabei  gilt es zu erkunden, wie und warum über den doch eigentlich unbeschreiblichen Schmerz geschrieben wird. Welche Bedeutung hat der Schmerz für diejenigen, die ihn empfinden? Wann schafft Schmerz Welt, wann zerstört er sie? Welche literarische oder philosophische Tradition hat die Beschäftigung mit Schmerzen? Und was wissen wir eigentlich über  den Schmerz der Anderen (Menschen, Tiere)? Zur Lektüre gehören Texte von u.a. Franz Kafka, Leopold von Sacher-Masoch, Sylvia Plath und David Foster Wallace.

Außenseiter in der Literatur / PD Dr. Peter Waldmann

Hans Mayer, der sich als Jude und Homosexueller schon in den siebziger  Jahren mit unserem Thema beschäftigte, stellt in seiner paradigmatischen  Studie fest, dass Außenseiter immer schon eine bestimmende Kategorie  der Literatur waren. Während die Aufklärung, so Mayer, darin zu  scheitern droht, dass sie das Individuelle als Abweichung allgemeiner  Normen und Gesetze zu nivellieren droht, war es für ihn allein die  Literatur, die sich zum Statthalter des Inkommensurablen erklärte. Da  die Literatur stets ein Ausdruck des Unangepassten war, ist es nicht  verwunderlich, dass schon das antike, hellenistische Theater im  Misanthropen, dem Menschenfeind, den Prototypen des Außenseiters, der  sich der Gesellschaft willentlich entzieht, geschaffen hat. Ebenso wie  der Misanthrop, der wie kein anderer den philosophischen Geist des  heroischen Zynismus verkörpert, artikuliert auch der Wahnsinnige in  Gestalt des Narren in der Kunst und in der Literatur der frühen Neuzeit  die Wahrheit der existentiellen Tragik des Menschen und warnt vor einer  gefährlichen und lebensfeindlichen Überschätzung der Vernunft. Einen  tiefen Einschnitt im Denken über den Außenseiter liefern die Essays von  Montaigne; während im Mittelalter und noch über weite Strecken in der  Neuzeit geglaubt wurde, Normen und Regeln besäßen göttlichen Ursprung,  ist es Montaigne, der zeigt, dass Gesetze, Normen und Regeln relativ,  also von kulturellen und historischen Kontexten abhängig sind.  Gesellschaften stellen ihre Regeln auf, die durch ein Machtgefälle  innerhalb der Gruppe durchgesetzt werden. Howard S. Becker, der einen  soziologischen Klassiker zu unserem Thema verfasst hat, kann zu Recht  schreiben, dass abweichendes Verhalten von der Gesellschaft geschaffen  werde. Sie stigmatisiert Menschen zu Außenseitern. Das Machtgefälle  innerhalb einer Gruppe materialisiert sich in Institutionen wie  Gerichten, der Polizei, Gefängnissen oder Erziehungsanstalten. Die  gesellschaftliche Macht pflanzt sich außerdem als Instanz des Über-Ich  (Freud,Elias) oder als generalisierter Anderer (Mead) in die Seele des  Menschen fort. Die Außenseiter reagieren nun auf die Regeln der  Gesellschaft mit einer sekundären Anpassung, die von Fluchtlinien,  Täuschungsstrategien, psychologischen Abwehrmechanismen bis zur  radikalen Infragestellung der Mehrheitsgesellschaft reicht. Die  Hypothese des Seminars lautet, dass die Verfahren der sekundären  Anpassung und ihre Folgen zu einem bestimmenden Motiv innerhalb der  modernen Literatur werden.
Im Seminar werden folgende Autoren behandelt: Menander, Shakespeare,  Judith N. Shklar, Erasmus von Rotterdam, Montaigne, Eichendorff, Keller,  Melville, Mann, Kafka, Nabokov, Elias, Goffman, Howard S. Becker,  Foucault, Patricia Highsmith, Frisch und Süsskind.

Literaturwissenschaftliche Übung / Dr. Johanna-Charlotte Horst

Wie fängt man mit der Analyse eines Textes an? Wie lassen sich  unterschiedliche Erzählperspektiven bestimmen? Auf welche Weise können  Raum- und Zeitstrukturen beschrieben werden? Diesen und weiteren  erzähltheoretischen Fragen wollen wir im Seminar gemeinsam nachgehen und  dabei Methoden der literarischen Analyse in konkreter Arbeit an  exemplarischen Texten, wie z.B. Heinrich von Kleists „Das Erdbeben in  Chili“, erproben und modellhaft einüben.

Funktionen und Potentiale der Literatur / Dr. Robert Buch

Der Kurs situiert Literatur im Verhältnis zu verschiedenen theoretischen Diskursen und Paradigmen, die die literaturwissenschaftlichen Diskussionen in den letzten Jahrzehnten geprägt haben. Mit der Evolutionären Ästhetik fragen wir nach den Ursprüngen und Funktionen von Kunst und Literatur; die Soziologie des literarischen Feldes stellt die Idee der Autonomie der Literatur auf den Prüfstand und erkundet den Raum der Weltliteratur; aus postkolonialer Perspektive stellt sich die Frage, was ein Klassiker ist, neu; die ,Poetologie des Wissens‘ analysiert die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Literatur und Wissen(schaft). Einen weiteren Schwerpunkt bilden neuere Arbeiten, die sich mit der gegenwärtigen Konjunktur und Krise des Lesens von Literatur befassen, aber auch über die sich daraus für die Literaturwissenschaften ergebenden Herausforderungen und Möglichkeiten nachdenken.

Dieser Kurs ist Teil des Moduls Literatur denken im neuen MA Literaturwissenschaft.

Satire im Wandel der Zeiten / Natalie Sauer

In unserem Alltag fällt häufig der Begriff „Satire“, insbesondere im Zusammenhang mit einer humoristischen Gesellschaftskritik oder parodistischen Formen wie Memes. Aber wie ist die Satire über dieses  geläufige Alltagsverständnis hinaus zu erschließen? Welchen Verlauf nimmt sie über verschieden Epochen? Und was für Kontinuitäten und Brüche sind aus satirischen Texten heraus festzustellen?
Anhand dieser Leitfragen werden wir uns in einem exemplarischen Streifzug von der Antike bis in die Gegenwart diesem tückischen Begriff annähern. Im close-reading wollen wir gemeinsam untersuchen, inwiefern Aspekte wie Textsorten, literarische Verfahren und Selbstreflexivität für die Satire bedeutsam sind. Dabei beschränkt sich die Satire mit  ihrem beißenden Witz nicht nur auf literarische Texte, sondern kommt auch in anderen Medien vor. Daher werden wir uns auch mit der bildlichen Satire bspw. bei Karikaturen oder der jüngeren Form der Memes beschäftigen. In diesem Überblicksseminar lesen wir nicht nur deutschsprachige Literatur, sondern auch Texte aus anderen Sprachtraditionen in deutscher Übersetzung. Vorausgesetzt werden die Bereitschaft für eine gründliche Lektüre in Vorbereitung auf die jeweiligen Sitzungen und eine regelmäßige, aktive Teilnahme an Seminardiskussionen.

Übersetzungswerkstatt / N. N.

Der Kurs möchte einen umfassenden ersten Einblick in die vielfältige  Praxis des Übersetzens bieten. Deren Bedingungen sind durch die rasante  Entwicklung technischer Hilfsmittel stark im Wandel begriffen. Vor  diesem Hintergrund wollen wir nicht nur klären, was man sich unter  beruflicher und anderer Übersetzungspraxis genau vorstellen könnte, was  eine gute Übersetzung ausmacht, und, wie man Übersetzungen lesen oder  verwenden kann, sondern auch, welchen Status Übersetzen an  Universitäten, im Kulturbetrieb oder in Unternehmen hat und in der nahen  Zukunft haben könnte.
Das Kernstück bildet die eigene Übung in verschiedenen Formen der  Übersetzung (unterschiedliche Typen literarischer Texte,  wissenschaftliche und theoretische Texte, Podcasts, Gebrauchstexte), die  auch Rücksicht auf besondere Problemstellungen nimmt (Slang und  gesprochene Sprache, mehrsprachige Texte, Umsetzung  diskriminierungssensibler Sprache, Metrum und Reim, Fußnotenapparate,  Intertextualität). Sie wird begleitet durch die Diskussion von  Beispielen und durch theoretische Reflexion (z.B. Benjamin, Tawada,  Schleiermacher), durch Rechercheprojekte und Diskussionen zur Frage von  Rechten und digitalen Übersetzungstools und durch Gespräche mit  praktizierenden Übersetzer*innen.
Wir arbeiten mit den Sprachen, die Sie mitbringen, und werden die erste  Sitzung nutzen, um die Themenschwerpunkte des Kurses gemeinsam  festzulegen. Bitte überlegen Sie sich also bereits im Vorfeld, worüber  Sie mehr wissen und woran Sie arbeiten möchten, und bringen Sie, falls  Sie bereits Übersetzungen angefertigt haben, Ihre eigenen Arbeiten mit.

Forschungskolloquium Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Prof. Dr. Daniel Weidner

Das Forschungskolloquium dient der  Vorbereitung und Begleitung der Masterarbeit: Die TeilnehmerInnen   entwickeln ihre thematischen Interessen, ihre Fragestellung und die   Konzeption Ihrer Arbeit und stellen das jeweils zur Diskussion. Darüber  hinaus dient das Kolloquium zur Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen   der Forschung, die Auswahl richtet sich hier ebenfalls nach den  Interessen der Teilnehmerinnen. Auch allgemeine Fragen zur Schreib- und  Arbeitspraxis sowie zum wissenschaftlichen Selbstverständnis können hier  diskutiert werden – in diesem Zusammenhang können etwa auch  grundlegende Texte über Literaturwissenschaft lesen. Und in der letzten   Sitzung lesen wir gemeinsam einen frei gewählten literarischen Text.

Sommersemester 2024

Vorlesung: Mit der Bühne denken. Literatur und Theater / Prof. Dr. Daniel Weidner

Theater ist nicht nur eines der wichtigsten Medien von Literatur, sondern auch ein wichtiges Modell zum Verständnis von Literatur, Gesellschaft und Leben, in dem wir alle unsere „Rolle spielen“, manchmal selbst „Tragisches“ erleben und häufiger „Zuschauer“ anderer Schicksale sind. Die Vorlesung gibt entlang von fünf Stücken  -- Sophokles: Antigone, Shakespeare: Hamlet, Schiller: Wilhelm Tell, Brecht: Die  Heilige Johanna der Schlachthöfe, Beckett: Warten auf Godot – eine Einführung in die Geschichte des Theaters von der griechischen Antike bis in die Gegenwart und erörtert die wichtigen Konzepte und Kontroversen über Darstellung, Drama, Schauspieler, Bühne, Publikum, Zeit und Raum, Illusion, Enttäuschung und Verfremdung, Performanz, Postdramatik u.a. Die Nähe des Theaters zum Ritual und zum Mythos, seine eminent politische Aufladung, sein Verhältnis zu anderen Künsten und seine Ausweitung in Vorstellungen wie dem „Welttheater“ oder der soziologischen Rollentheorie werden ebenso thematisiert wie die Grundfragen der Analyse theatraler Texte. Zur Vorbereitung sei die Lektüre der Stücke empfohlen (Sophokles, Shakespeare und Schiller bei  Reclam, Brecht bei Suhrkamp, Beckett auf StudIP. Ergänzend auch: Manfred Brauneck: Europas Theater. 2500 Jahre Geschichte – eine  Einführung. Reinbeck (Rowohlt) 2012 (dick, aber kann man drin schmökern); sowie K. Lazarowicz, C. Balme (Hg.): Texte zur Theorie des Theaters, Stuttgart (Reclam) 1991.
NB: Wer Lust hat, geht am 13.4. gemeinsam im Neuen Theater in Sophokles Antigone!

Die Literatur und ihr Publikum / Prof. Dr. Daniel Weidner

Literatur besteht nicht nur aus Büchern, Texten oder AutorInnen, sondern braucht auch ein Publikum – gerade das macht sie unmittelbar politisch und stellt sie ins Zentrum gemeinsamen Wollens und Handelns. Dabei ist die uns gewohnte Konstellation einer literarischen ‚Öffentlichkeit‘ relativ neu: Sie bildet sich im Laufe des 18. Jahrhunderts heraus, wird  dann immer mehr durch den literarischen Markt bestimmt und scheint sich in der Gegenwart durch den Einfluss neuer Medien und Kommunikationsformen zunehmend aufzulösen. Das Seminar untersucht die Konstitution und den Wandel des literarischen Publikums anhand von Quellen und Forschung zur Geschichte der literarischen und politischen Öffentlichkeit. Nach kurzem Rückblick auf die Funktionsweisen vormoderner Literatur wird der Schwerpunkt im 18. Jahrhundert liegen (mit Kritiken, Manifesten, Satiren, Projekten, Stücken u.a.  von Lessing, Herder, Wieland, Schiller). Im Anschluss beschäftigen wir uns mit der Entwicklung des literarischen Marktes im 19. Jahrhundert und dessen Krisen im 20. Jahrhundert. Das Seminar versteht sich gleichzeitig als Einführung in die Literatursoziologie, gerne können nach Interessen der TeilnehmerInnen Schwerpunkte gesetzt werden. Zur Vorbereitung der ersten Sitzung lesen Sie bitte den Textausschnitt von Peter Handke: Publikumsbeschimpfung auf StudIP.

Mögliche Hintergrundlektüre: Carolin Amlinger: Schreiben. Eine  Soziologie literarischer Arbeit. Frankfurt a.M. 2021. C. und P. Bürger, J  Schulte-Sasse (Hg.) Aufklärung und literarische Öffentlichkeit,  Frankfurt a.M. 1980. James van Horn Melton: The Rise of the Public in Enlightenment Europe, Cambridge 2001.

Der Bürger in der Literatur – Thomas Manns Buddenbrooks / Neela Janssen

In diesem Lektüreseminar wollen wir gemeinsam Thomas Manns klassischen  Gesellschaftsroman von 1901 lesen. Als roter Faden begleiten uns die Fragen nach Bürgerlichkeit und dem Bürger in der Literatur, wir werden  aber im Verlauf des Semesters ganz unterschiedliche Perspektiven und  Herangehensweisen an den Text erproben, um diesen Fragen auf die Spur zu kommen. Ausgehend von unseren Lektüreeindrücken soll es um eine  Einordnung in den (literatur-)historischen Kontext ebenso gehen wie um Fragen nach Männlichkeit und Klasse, aber auch um den Blick auf stilistische Auffälligkeiten und das Nachdenken über (bürgerliche) Leitmotive und die Vielstimmigkeit der Erzählung. Nicht zuletzt geht es dabei immer auch um Fragen nach Übertragbarkeit und Aktualität: In welcher Form begegnet uns Bürgerlichkeit in Manns Roman? Auf welchen Ebenen, mit welchen Konnotationen? Wie lässt sich Bürgerlichkeit allgemeiner fassen, wie wird sie literarisch verhandelt? Welche alternativen Narrative und Ausformulierungen lassen sich finden? Und was lässt sich daraus nicht nur für die Literatur des 20., sondern auch des 21. Jahrhunderts lernen? Welche thematischen Aspekte, welche Spuren eines bürgerlichen Stils können wir mit unserem gesammelten Wissen in gegenwärtiger Literatur entdecken? Wie aktuell sind der Bürger und Bürgerlichkeit als Konzepte in der (Literatur-)Wissenschaft heutzutage überhaupt noch – oder anders gefragt: wie und warum lassen sie sich vielleicht gerade heute wieder produktiv machen?

Inwieweit wir unsere Sitzungsdiskussionen um Sekundärliteratur erweitern oder uns beispielsweise im Sinne eines Close-Readings einzelnen Szenen widmen werden, hängt auch von Ihrem Interesse ab; Sie werden zu Beginn des Semesters die Möglichkeit haben, das Grundgerüst des Seminarplans um eigene Impulse zu erweitern und Schwerpunkte zu setzen. Die Bereitschaft, das Buch aufmerksam in seiner Gesamtheit zu lesen und sich aktiv an den Seminardiskussionen zu beteiligen, wird dabei vorausgesetzt.

Zur Vorbereitung empfiehlt sich natürlich ein Blick ins Buch.

Intersexfiguren von der Antike bis heute / Dr. Claudia Hein

Gender und Begehren fluide zu denken ist fast schon Mainstream, aber was  ist mit der biologisch gedachten Kategorie Sex? XXY-Chromosomen, uneindeutige Genitalien oder eindeutige Geschlechtsmerkmale, bei ebenso eindeutig konträrem Chromosomensatz – Intersex hinterfragt die Geschlechter-Dichotomie aus der Biologie selbst heraus, und dies auf genetischer, biochemischer wie physiologischer Ebene. Gemeinsame  Grundlage ist dabei gerade die Unmöglichkeit der Klassifizierung als weiblich oder männlich.
Intersex ist Seinsmodus, Forschungs- und juristisches  Klassifizierungs-Objekt ebenso wie Ausgangspunkt avancierter genderkritischer Theorie (Anne Fausto-Sterling). Vom antiken Mythos (Hermaphroditos, Kugelmenschen) bis zur Science-Fiction (Melissa Scott, Octavia Butler) dient die Literatur als Spiegel und experimentelle Form des Weiterdenkens dieser biologischen Unschärfe.
Wir wollen im Seminar schlaglichtartig auf die lange Geschichte dieser Schnittstelle eingehen und dabei ein besonderes Augenmerk auf einen für die Debatte zentralen historischen Text aus der Feder einer  Intersex-Person legen: Lesen werden wir die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Lebenserinnerungen Herculine Barbins, die Foucault erst 1980 einer größeren Öffentlichkeit präsentiert und mit der Frage flankiert hat: »Brauchen wir wirklich ein wahres Geschlecht?« Kritisch auseinandersetzen werden wir uns des Weiteren mit dem Bestsellerroman »Middlesex« von Jeffrey Eugenides aus dem Jahr 2002. Dieser Text scheint körperlich auszubuchstabieren, was bei Herculine Barbin gerade nicht zur Sprache kommt: der (häufig voyeuristisch betrachtete) intersexuelle  Körper. Ein dritter Text, der im Zentrum des Seminars stehen wird, ist der 2021 erschienene Roman »Sorrow Land« von Rivers Solomon, der sich auch auf Gattungsebene (Science Ficition, Gothic, magischer Realismus) in einem postkolonial-queeren Zwischenraum bewegt und nicht nur die Grenze zwischen geschlechtlichen Körpern, sondern auch die zwischen Menschen und anderen Lebensformen aufbrechen lässt.
Die grundlegende Frage, die uns, u.a. ausgehend von Judith Butler  (Undoing gender), umtreiben wird, ist die nach der Provokation, die  Intersex bedeutet, und zwar nicht nur für ein biologisch-essentialistisches, sondern ebenso für ein  sozial-konstruktivistisches Denken von Geschlecht.

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ZUR VORBEREITUNG:

Für einen ersten Einblick in die Thematik empfehle ich dieses 1996 beim  ersten Treffen der Intersex Society of North America entstandene Video:
https://www.youtube.com/watch?v=1sf7l1GKGgw   

Bitte besorgen Sie sich zudem folgende Texte (die z.T. auch sehr gut  antiquarisch zu bekommen sind) und beginnen Sie idealerweise schon in  den Semesterferien mit der Lektüre:
- Herculine Barbin, Michel Foucault: Über Hermaphrodismus
(https://www.suhrkamp.de/buch/ueber-hermaphrodismus-t-9783518117330   )
- Jeffrey Eugenides: Middlesex
(wir werden den Roman in Auszügen lesen; Lektüre auf engl. oder dt.)
- Rivers Solomon: Sorrow Land
(https://www.penguin.co.uk/books/441803/sorrowland-by-solomon-rivers/9781529118759;    nur auf engl. verfügbar)
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Diese Lehrveranstaltung ist im Studienbegleitprogramm von gender*bildet (Zertifikat Gender Studies) anrechenbar.

Zeitgeist und Zeitgefühl im Roman / Dr. Robert Buch

Es gibt eine Art von Büchern, mit denen sich Leserinnen und Leser emphatisch identifizieren. Es sind Werke, so sagt man, die nicht nur zu, sondern für ihre Leserschaft sprechen. Damit scheinen sie einen alten Traum der Literatur zu erfüllen, nämlich ihre Rezipienten zu ergreifen, deren Lebensgefühl irgendwie auf den Punkt zu bringen, sie dabei aber auch zu transformieren. Es gibt eine Zeit vor und nach der Begegnung mit solchen Büchern, die die Perspektive auf die Welt und auf das Selbst zugleich bestätigen und neu ausrichten, und zwar nicht nur bei vereinzelten Lesern, sondern für ganze Generationen. Offenbar gelingt es  diesen Werken auf einmalige Weise, Zeitgeist und Zeitgefühl einer Epoche zu reflektieren, auch wenn es mitunter erst eine spätere Generation ist, die sich in diesen Werken entdeckt. Ein Name für diese Art von Werk ist Kultbuch. Kultbücher sind Objekte der Verehrung und der intimen Vertrautheit – bis hin zur Nachahmung ihrer Figuren und deren Habitus. In der europäischen Tradition steht dafür exemplarisch Goethes Werther, mit dem wir uns am Anfang des Kurses beschäftigen werden. Die folgenden Sitzungen widmen sich dann einer Reihe einschlägiger Kultbücher des 20. und 21. Jahrhunderts wie beispielsweise Hermann Hesses Steppenwolf, Ernest Hemingways The Sun Also Rises oder J. D. Salingers The Catcher in the Rye, Françoise Sagans Bonjour Tristesse, Elena Ferrantes Neapolitanische Roman-Tetralogie oder Sally Rooneys Normal People, um nur einige solcher Werke zu nennen. Nicht wenige dieser Romane erzählen Coming-of-Age-Geschichten und so prägen sie oft besonders jugendliche Lesebiographien. In dem Kurs wird es zum einen darum gehen zu verstehen, ob es bestimmte Merkmale sind, welche die emphatische Rezeption dieser Werke ermöglichen, zum anderen aber auch  darum, nach ihrer Aktualisierbarkeit und Aneignung durch immer neue Generationen von Leserinnen und Lesern zu fragen.

Voraussetzung der Teilnahme ist die Bereitschaft zur Lektüre längerer Texte, regelmäßige und aktive Mitarbeit sowie die Übernahme eines Impulsreferats und der Moderation der anschließenden Diskussion. Erwartet wird außerdem die Fähigkeit, ein oder zwei der Werke, die wir diskutieren werden, im englischen Original zu lesen.

Zur Einführung: Heiko Christians, ",Werthers Brüder’ oder Was ist ein Kultbuch?", Wirkendes Wort, 55, 2005, 15-27.

Literarischer Abfall / Leon Bertz

Müll ist ein unangenehmes Thema. Das hindert die Literatur aber nicht,  sich trotzdem auf solche Stoffe einzulassen, die man ansonsten buchstäblich nur ‚mit der Zange‘ berührt. Müll, Unrat, Schmutz, Schrott, Rest, Plunder oder Abfall: Die Begrifflichkeiten für ein Phänomen, das eigentlich unsichtbar außerhalb der ‚sauberen‘ Kultur existiert, sind auffällig vielfältig. Dabei bleibt unklar, auf was sich die Ausdrücke eigentlich beziehen, denn ‚Müllsein‘ ist keine physikalische Eigenschaft, sondern soziale Zuschreibung. So lassen sich anhand der Kategorie ‚Abfall', die ein ganzes Spektrum zwischen Haus- und Atommüll umfasst, zentrale kulturelle Wertkonstruktionen sowie Verhaltensweisen untersuchen und Überlegungen anstellen, inwiefern (gesellschaftliche) Ordnung tatsächlich erst durch die Verbannung des (vermeintlich) Unordentlichen entsteht.
Im Seminar wollen wir uns damit beschäftigen, welche Funktion der Abfall  in literarischen Texten und für literarische Texte ausübt. Wie verhält  sich Literatur zum Müll, in welchen thematischen und formalen Konstellationen tritt der Abfall auf, zu welchen Reflexionen motiviert Unrat, wie weit ähnelt das Archiv der Mülldeponie und was heißt es, dass Kunst möglicherweise selbst erst aus chaotischer Unordnung entsteht? Über eine komparatistisch orientierte Textauswahl bekannter ‚Mülltexte‘ aus verschiedenen Ländern vom (magischen) Realismus bis zur Science-Fiction-artigen Dystopie wollen wir uns dieser Thematik nähern. Historisch konzentrieren wir uns auf Zeugnisse seit dem letzten Jahrhundert, denn Entsorgungsprobleme nehmen mit dem Aufkommen der Konsumgesellschaft radikal zu und Künstler:innen widmen sich vermehrt dieser drängenden Problematik, sodass man sogar „eine Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts als Abfall-Geschichte schreiben“ (Kämpf-Jansen) könnte.

Kulturelle Differenz in der Gegenwartsliteratur / Prof. Dr. Daniel Weidner

Mit einiger Verspätung werden auch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur „Race, Class und Gender“ in den letzten Jahrzehnten zunehmend wichtig. Das Seminar diskutiert anhand ausgewählter Texte der  letzten Jahrzehnte, wie neue „Identitäten“ und „Zugehörigkeiten“ – Frauen, MigrantInnen, Nicht-Weiße, „Unterschichten“, Marginalisierte – zur Sprache kommen und zu welchen Darstellungsformen dazu gegriffen wird. Zugleich lesen wir theoretische Texte (Stuart Hall, Judith Butler,  Homi Bhabba) darüber, was diese Differenzen eigentlich sind, wie sie sich in der Literatur niederschlagen und wie sie sich analysieren lassen. In der ersten Hälfte des Seminars lesen wir gemeinsam ein paar klassische Textausschnitte (Emine Özdamar, Feridun Zaimoglu), zwei Romane komplett (Fatma Aydemir:  Dschinns (2022), Shida Bayzar: Drei Kameradinnen (2021) sowie theoretische Texte. In der zweiten Seminarhälfte wählen Sie je nach Interesse (gerne auch in Gruppe) Texte  aus und stellen Sie dann (mit gemeinsam gelesenen Textausschnitten) im  Seminar vor. In Frage kommen u.a. Texte von Lena Gorelik, Dilek Güngör,  Dincer Gücyeter, Lin Hierse, Kim De L'Horizon, Deniz Ohde, Yasemin Önder, Sharon Dodua Otoo, Katja Petrowskaja, Doron Rabinovic, Mithu Sanyal, Anna Yeliz Schentke, Vladimir Vertlieb, Hengameh Yaghoobifarah, weitere  Vorschläge sind willkommen.
Zur Vorbereitung lesen Sie bitte den Roman von Fatma Aydemir.

Literatur als Provokation / Dr. Robert Buch

Den Prinzipien der klassischen Rhetorik zufolge gehört es zu den unabdingbaren Voraussetzungen erfolgreicher Rede, ob literarischer oder nicht literarischer Art, das Publikum für sich einzunehmen. Der rhetorische Ausdruck dafür lautet captatio benevolentiae, Gewinnung des Wohlwollens. Nun ist die moderne Literatur reich an Beispielen für das  Gegenteil, also an Texten, die ihre Leserschaft vor den Kopf stoßen, deren Erwartungen enttäuschen, das Publikum aus der Fassung bringen. Das Seminar beschäftigt sich mit einer Reihe von Werken, die in dieser Tradition stehen. Dabei wollen wir fragen, auf welche Art und Weise  diese literarischen agents provocateurs uns irritieren, herausfordern, ja gelegentlich auch überfordern, aber auch, inwiefern der Einsatz von Provokation ein Spiel ist, integraler Bestandteil moderner Ästhetik, oder, ob es umgekehrt darum geht, ganz bewusst und in durchaus  ernsthafter Absicht unsere moralischen und politischen Affekte zu mobilisieren. Zu den möglichen Autoren und Autorinnen, mit denen wir uns  auseinandersetzen werden, gehören Charles Baudelaire, Ingeborg Bachmann, Elfriede Jelinek, Ágota Kristóf, Heiner Müller, Jonathan Littell und Michel Houellebecq.

Voraussetzung der Teilnahme ist die Bereitschaft zur Lektüre längerer  Texte, regelmäßige und aktive Mitarbeit sowie die Übernahme eines  Impulsreferats und der Moderation der anschließenden Diskussion.

Werkstatt Zeitschriften-Redaktion / Dr. Claudia Hein

Die an der MLU angesiedelte »Zeitschrift studentischer Beiträge« geht in ihren 3. Jahrgang – und dafür brauchen wir Ihre tatkräftige Unterstützung!
Wollen Sie wissen, wie es ist, eine Zeitschrift wirklich selbst zu gestalten und herauszubringen? Haben Sie Lust, als Redakteur:innen in einem studentischen Team tätig zu werden? Und dabei den Entstehungsprozess einer Zeitschrift von der Textakquise über die  Begutachtung und Diskussion der Zusendungen, Übermitteln des Feedbacks an die Autor:innen bis hin zu Textlektorat und Korrekturlesen von Fahnen kennenzulernen? Oder ganz grundlegend gefragt: Arbeiten Sie gerne an eigenen und fremden Texten, um diese noch weiter zu verbessern?
Dann sind Sie im Werkstattseminar genau richtig! In der Lektüre und Diskussion von studentischen Texten wollen wir gemeinsam herausfinden, was gut funktionierende Texte auszeichnet, wie sich Fragestellungen und Argumentationen schärfen lassen und wie man das Erarbeitete klar und gut lesbar vermitteln kann. Entscheidend dabei ist es, die Erfahrung zu machen, dass eben solche ›guten‹ Texte meist nicht vom Himmel fallen, sondern erst in einem Prozess redaktioneller Überarbeitung entstehen.
In der Arbeit an unserem Zeitschriftenheft bietet sich Ihnen die Gelegenheit, potentielle Arbeitsfelder, in denen Sie nach Studienabschluss tätig werden können, in einem realen Setting zu erkunden.

Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar ist die Bereitschaft, eigene Texte zur Diskussion zu stellen und sich intensiv und eigenständig mit fremden Texten auseinanderzusetzen und mit den Autor:innen gemeinsam an diesen zu arbeiten. Sie sollten sich zudem darauf einstellen, dass im Seminar möglicherweise ein hohes Lesepensum an uns zugesandten studentischen Texten zu bewältigen sein wird.

Forschungskolloquium Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Prof. Dr. Daniel Weidner

Das Forschungskolloquium dient der Vorbereitung und Begleitung der Masterarbeit: Die TeilnehmerInnen  entwickeln ihre thematischen Interessen, ihre Fragestellung und die  Konzeption Ihrer Arbeit und stellen das jeweils zur Diskussion. Darüber hinaus dient das Kolloquium zur Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen  der Forschung, die Auswahl richtet sich hier ebenfalls nach den Interessen der Teilnehmerinnen. Auch allgemeine Fragen zur Schreib- und Arbeitspraxis sowie zum wissenschaftlichen Selbstverständnis können hier diskutiert werden – in diesem Zusammenhang können etwa auch grundlegende Texte über Literaturwissenschaft lesen. Und in der letzten  Sitzung lesen wir gemeinsam einen frei gewählten literarischen Text.

Wintersemester 2023-24

Texte – Lektüren – Theorien für Fortgeschrittene. Einführung in das Masterstudium der Literaturwissenschaft / Dr. Claudia Hein

Was macht mich eigentlich zur Literaturwissenschaftlerin/zum Literaturwissenschaftler, wie lese ich, welche Fragen stelle ich, wie denke ich über Texte nach, wie schreibe ich über sie? Als beginnende Masterstudierende lohnt es, auf die Grundlagen des eigenen Arbeitens zurückzublicken, diese zu reflektieren, sich potentielle Unsicherheiten bewusst zu machen, sie zu lösen und dabei die eigenen Lektüre- und Scheibkompetenzen zu vertiefen.

Zunächst wollen wir eine solche Selbstverständigung anhand aktueller Forschungsliteratur in Angriff nehmen. Lesen werden wir Jürgen Brokoffs Studie "Literaturstreit und Bocksgesang" (2021) zum Zusammenhang von Literatur und Öffentlichkeit sowie die dort verhandelten Texte von Christa Wolf und Botho Strauß. Im Anschluss an unsere Lektüren werden wir die Gelegenheit nutzen und unsere Fragen mit dem Autor persönlich bei einem Gespräch im Literaturhaus diskutieren.

In einem zweiten Schritt werden wir uns mit dem/der diesjährigen Nobelpreisträger:in für Literatur (Bekanntgabe im Oktober) beschäftigen und dabei auf die Nobelpreisträger:innen der letzten Jahre wie auf Fragen nach Auswahlkriterien, Kanonisierung, Weltliteratur etc. zu sprechen kommen. Zentrale Herausforderung wird es sein, sich in kurzer Zeit Zugang zu bis dato möglicherweise unbekannten Autor:innen zu verschaffen und kleinere Texte zu diesen zu verfassen (Essay, Rezension, Handbuch-/Lexikonartikel).

Abschließend werden wir uns mit bereits von Ihnen verfassten Texten (Hausarbeiten) beschäftigen, diese wechselseitig lesen, diskutieren und gegebenenfalls lektorieren. Hierbei wollen wir über Fragen der Themenfindung ins Gespräch kommen, über das Entwickeln geeigneter Fragestellungen, über Schreib- und Überarbeitungsstrategien, über potentielle Schwierigkeiten mit dem wissenschaftlichen Schreiben. Ziel ist es, das wissenschaftliche Schreiben auch größerer Arbeiten handhabbar zu machen und sich als Literaturwissenschaftler:in kompetent zu fühlen.

VORBEREITUNG
Lektüre der beiden im Zentrum von Brokoffs Studie stehenden Texte, die da wären:
Christa Wolf: "Was bleibt"
Botho Strauss: "Anschwellender Bocksgesang"
Informieren Sie sich zudem bitte zum deutsch-deutschen Literaturstreit.

TERMIN
Bitten planen Sie den 25. Oktober, 19 Uhr, für den Besuch des Gesprächs mit Jürgen Brokoff im Literaturhaus ein: "Literatur im Widerstreit. Öffentlichkeit und literarische Intervention, damals und heute"   .

Übertragung schreiben: Epidemie und Literatur / Dr. Sergej Liamin

Die europäische Literatur beginnt mit einer Epidemie: die antike mit der Pest im Lager der Griechen vor Troja, in der ‚Ilias‘ von Homer, und die moderne mit der Pest in den Gassen von Florenz, im ‚Decamerone‘ von Giovanni Boccaccio. Dieses auch metaphorisch und allegorisch lesbare Szenario einer Destabilisierung und Restabilisierung der menschlichen Gemeinschaft einschließlich der dazugehörigen Massenphänomene zählt zum festen thematisch-motivischen Repertoire auch der neueren Literatur, von Alexander Puschkin und Adalbert Stifter über Thomas Mann und Albert Camus bis Philip Roth und Juli Zeh. Das Seminar befragt eine Folge von kanonischen Texten auf ihre vermeintliche oder tatsächliche Aktualität vor dem Hintergrund der Ereignisse der jüngsten Vergangenheit. Der Durchgang durch eine solche semi-identifikatorische Lektüre der inneren und äußeren Ausnahmezustände zielt jedoch auf eine zweifache poetologische Reflexion: zum einen auf die Möglichkeiten einer ‚infektiösen‘ Schreibweise, die sowohl die Sprache wie auch den Leser affiziert, und zum anderen auf die Bedingungen einer Literatur, deren heilende Kräfte gegen traumatische Epidemie-Erfahrungen immun machen. Die Arbeit an den Texten wird durch die Analyse von ausgewählten Beispielen aus Bildenden Künsten und Film flankiert. Auf dem Programm stehen u.a.: Adalbert Stifter: ‚Granit‘ (1853); Thomas Mann: ‚Der Tod in Venedig‘ (1912); Leo Perutz: ‚St.-Petri-Schnee‘ (1938); Albert Camus: Die Pest‘ (1947).

Der Wille zur Ohnmacht. Nihilismus und Komik in der Literatur der Moderne / Dr. Robert Buch

»I would prefer not to«, so lautet der berühmte Satz von Bartleby, der Hauptfigur der gleichnamigen Erzählung Herman Melvilles. In ihm kündigt sich eine moderne Poetik an, die Nihilismus und Komik auf eigentümliche Weise zu verbinden scheint. In Texten von Fernando Pessoa, Robert Walser, Franz Kafka und Samuel Beckett geht es um ausbleibende Ereignisse und vergebliches Warten, um die Nichtswürdigkeiten und Trivialitäten des Alltags, um den Wunsch, zu verschwinden, sich klein zu machen und sich aufgeben zu dürfen, um Verweigerung und Passivität. Es sind Texte, die traurig und komisch zugleich sind, zutiefst pessimistisch, ja nihilistisch einerseits, ironisch und oftmals von aberwitziger Exzentrik, ja Heiterkeit andererseits. Im Mittelpunkt des Kurses stehen, neben einigen kürzeren Werken der genannten Autoren, drei Romane: Walsers Jakob van Gunten, Kafkas Das Schloß und Becketts Molloy. Wir wollen fragen, wie die Texte ihre paradoxalen Effekte erzielen und wie in ihrer Rezeption mit der Spannung zwischen metaphysischem Ernst und metaphysischer Komik umgegangen worden ist. -- Voraussetzung der Teilnahme ist die Bereitschaft zur Lektüre längerer Texte, regelmäßige und aktive Mitarbeit sowie die Übernahme eines Impulsreferats und der Moderation der anschließenden Diskussion.

Vergangene Zukünfte (Blockseminar) – in Kooperation mit der Stadt Halle / Dr. Claudia Hein

"Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war." (Yogi Berra) – Unser Denken und Sprechen über Zukunft ist geprägt von einer vertrackten Zeitlichkeit. Aus Zukunftssehnsüchten spricht vor allem die Gegenwart, Zukunftsprognosen verändern die Zukunft, die sie voraussagen (Präventionsparadox), wirklich greifbar wird die Zukunft vor allem als vergangene Imagination. Als Literaturwissenschaftler:innen sind wir Expert:innen eines solchen Imaginären und wollen uns im Seminar auf die Suche nach Texten und Materialien begeben, in denen greifbar wird, wie in der Vergangenheit Zukünfte imaginiert wurden; vielleicht lässt sich auf diese Weise ein Verständnis für das entwickeln, was auch gegenwärtige Zukunftsbilder und -erzählungen konditioniert. Im Zentrum des Seminars wird dabei ein ganz bestimmter Ort stehen, und zwar Halle-Neustadt – ein Raum, der Zukunftsvision und Vergangenheit paradigmatisch miteinander verschränkt.

In intensiver eigenständiger Recherche der Teilnehmenden wollen wir ein facettenreiches "Archiv der Zukünfte" zusammenstellen, das unter Einbezug der Stadtöffentlichkeit in einem noch zu entwickelnden Format präsentiert werden soll. Geplant ist eine interaktive Veranstaltung vor Ort, bei der idealerweise weitere aktuelle oder vergangene Zukunftsperspektiven gesammelt und in unser Archiv integriert werden.

Das Seminar ist Teil einer größer angelegten Zusammenarbeit von Universität und Stadt (Transformationslabor Imaginationen der Zukunft) und versteht sich als Einübung in potentielle Arbeitsfelder von Geisteswissenschaftler:innen: Die Teilnehmenden werden zu Kurator:innen, Redakteur:innen, Projektmanager:innen an der Schnittstelle von Kultur, Wissenschaft und Öffentlichkeit.

TEILNAHME
Aufgrund der partizipativen Anlage des Seminars ist eine Teilnahme an allen Sitzungen entscheidend!

„Literatur der Angst“: Horror, Gothic und Weird Fiction / Leon Bertz

Die älteste und stärkste menschliche Gefühlsregung ist die Angst. Das zumindest behauptete H.P. Lovecraft 1927, um seinen skeptischen Zeitgenoss:innen den zeitlos hohen Rang der „unheimlich-übernatürlichen Horrorerzählung“ zu belegen. Knapp 100 Jahre später ist der Horror aus unserer medialen Unterhaltungswelt nicht mehr wegzudenken. Filme, Serien, Bücher und Videospiele sind bevölkert von zwielichtigen Gestalten und drastischen Darstellungen. Doch woher kommt das Genre eigentlich, was hat es mit der Gotik auf sich und aus welchen literarischen Abgründen entstiegen einmal Vampire, Untote oder Gespenster, die heute oft zum wenig unheimlichen Klischee geworden sind? Im Seminar wollen wir anhand einer Reihe bedeutender Horrorerzählungen untersuchen, welche ästhetischen Programme der „Literatur der Angst“, der übernatürlichen Erzählung oder dem Schauerroman zugrunde liegen. Warum und wie wird Angst literarisch erzeugt und mit welchen erzählerischen Tricks arbeiten Autor:innen, wenn sie das Unheimliche darstellen? Vom Gothic Novel der Aufklärung über die schwarze Romantik bis zur modernen Weird Fiction reflektieren wir die Entwicklung des Horrors und seiner Motive, sein Verhältnis zur jeweiligen zeitgenössischen Gesellschaft, ihrem Wissen und die philosophische Faszinationskraft der „sublimen“ Angst. Mit einer komparatistisch angelegten Auswahl aus europäischer und amerikanischer Literatur thematisieren und diskutieren wir übergreifende Strukturen des Genres, in denen sich Grundfragen menschlicher Existenz und Erkenntnis spiegeln. Nicht zufällig stoßen wir dabei auch auf rassistische und sexistische Tendenzen der westlichen Horrorerzählung, die mit der „Angst vor dem Unbekannten“ gerne aus eurozentrischer Sicht „exotisch“ gelesene Orte und Figuren zu Schauplätzen und Protagonisten bestimmt. Die Bereitschaft zu intensiver Lektüre und Diskussion wird vorausgesetzt.

Weisheitsliteratur. Exploration eines Genres I (Antike) / Dr. Na Schädlich

Im Seminar lesen wir Literatur, die ›Weisheit vermittelt‹, aus der griechischen, der judeo-christlichen und der chinesischen Antike und wollen auch über sie reden. Das gesamte Programm steht notwendig im Zeichen einer Exploration, denn sogleich am Ausgangspunkt begegnen wir, beispielsweise, der Frage, was das deutsche Wort ›Weisheit‹ denn bezeichnen und was unter das Genre der antiken ›Weisheitsliteratur‹ fallen kann. Auf den ersten Blick würde man meinen – so ist man schon auf einer Erkundungsreise –, dass das Wort ›Weisheit‹ der griechischen φιλοσοφία, der lateinischen sapientia (das dem einschlägigen biblischen Korpus gilt) und dem chinesischen zhe-xue eine Entsprechung biete. Handelt es sich so um eine „Übersetzung“ zwischen dem Deutschen und anderen Sprachen, so wäre es jedoch „weise“, auch dies zu „wissen“: Die drei fremdsprachigen Wörter entstanden selbst zu sehr unterschiedlichen Zeiten, doch ein komplexer Übersetzungszusammenhang hat versucht, die zeitliche Distanz zu überwinden und zugleich – historistisch – die sog. kulturelle Individualität zu bewahren. Zhe-xue ist z.B. ein erst um 1900 erfundener Begriff, und zwar nach dem Vorbild des europäischen, ›modernen‹ Diskurses über die ›antike‹ Weisheitsliteratur, der wiederum in der Epoche der Aufklärung entstand.

Das obige Beispiel soll vorerst bloß darauf hinweisen, auf welchem Boden von Fragen und Problemen stehend wir uns den Texten zuwenden. Ein Reader, bestehend aus Auszügen aus ›Shang-shu‹ (der ältesten Überlieferung im chinesischen Kanon), Platons Dialogen und der Heiligen Schrift, wird zur Verfügung gestellt. Die chinesischen Texte lesen wir in englischer Übersetzung.

Vier zusammenhängende Sitzungen sind eigens geplant zu der Problematik, was eine Rede über ›Weisheit‹ und ›Weisheitsliteratur‹ in anderen Kulturen als der, in der wir heute leben, voraussetzt. Sie finden montagabends am IZEA (Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung) statt (s. oben die Termine).

Voraussetzung für den Erwerb der Scheine ist ein kleiner Essay auf der Grundlage der IZEA-Sitzungen.

Faszination des Bösen / PD Dr. Peter Waldmann

Forschungskolloquium Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Dr. Robert Buch

Das Forschungskolloquium dient der Vorbereitung und Begleitung der Masterarbeit: Die TeilnehmerInnen entwickeln ihre thematischen Interessen, ihre Fragestellung und die Konzeption ihrer Arbeit und stellen das jeweils zur Diskussion. Darüber hinaus dient das Kolloquium zur Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen der Forschung. Auch allgemeine Fragen zur Schreib- und Arbeitspraxis sowie zum wissenschaftlichen Selbstverständnis können hier diskutiert werden – in diesem Zusammenhang können etwa auch grundlegende Texte über Literaturwissenschaft gelesen werden.
Was aktuelle Forschungsansätze betrifft, so werden wir uns gleich zu Anfang des Semesters mit zwei Texten beschäftigen, die zu ihrer Zeit erhitzte Debatten ausgelöst haben: Christa Wolfs Erzählung "Was bleibt" und Botho Strauß' Essay "Anschwellender Bockgesang". Am 25. Oktober findet im Literaturhaus Halle eine Veranstaltung mit Prof. Dr. Jürgen Brokoff von der FU Berlin statt: "Literatur im Widerstreit. Öffentlichkeit und literarische Intervention, damals und heute"   . Dort werden wir mit Herrn Brokoff sein Buch über Literaturdebatten diskutieren, in dessen Mittelpunkt die beiden erwähnten Texte stehen. -- Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Forschungskolloquiums sollten diesen Termin frühzeitig in ihr Semester einplanen.

Sommersemester 2023

Vorlesung: Mythos und Weltliteratur / Prof. Dr. Daniel Weidner

Bis in die Gegenwart erzählen literarische Texte immer wieder Mythen nach und neu: Geschichten von Göttern und Helden, von Anfängen und Katastrophen, Gründungen und Trickstern, die aus der klassischen griechisch-römischen Götterwelt, aber auch aus den Geschichten anderer Kulturen stammen. Gerade die heute viel gelesene Fantasy- und Science-Fiction-Literatur ahmt oft ganz bewusst Mythen nach. Mythen sind dabei auch selbst höchst aufschlussreich, um Literatur zu verstehen: Man sieht an ihnen, warum Menschen erzählen und Geschichten erfinden und wie man solche Geschichten beschreiben kann. Und am Mythos und seinem Verhältnis zu Lüge und Wahrheit ist immer schon verhandelt worden, was eigentlich das Spezifische von Literatur ausmacht. Mythen sind daher nicht nur Stoff für die Weltliteratur, sondern selbst weltliterarisch: Sie zirkulieren oft zwischen verschiedenen Kulturen und artikulieren deren Probleme – wer gehört dazu, wer nicht, wie sind die fundamentalen Unterscheidungen? was ‚glaubt‘ eine Gesellschaft und wie kann man darüber reden? – und das gilt auch und gerade für die modernen Mythen. Die Vorlesung gibt eine Übersicht über verschiedene Mythen aus Vergangenheit und Gegenwart, diskutiert exemplarisch deren Rezeptionsgeschichte und die verschiedenen Formen ihrer literarischen Verarbeitung und führt in verschiedene (anthropologische, religionshistorische, literaturwissenschaftliche) Theorien des Mythos ein.

Zur Vorbereitung: Mythen lesen!

Robert A. Segal: Mythos. Eine kleine Einführung. Reclam 2007 (antiquarisch).

Wilfried Barner u.a. (Hg.): Texte zur modernen Mythentheorie, Reclam 2003.

Literaturtheorie und Kulturtheorie. Walter Benjamin und Roland Barthes / Prof. Dr. Daniel Weidner

Walter Benjamin und Roland Barthes gehören nicht nur zu den einflussreichsten Literaturtheoretikern des 20. Jahrhunderts, sie haben auch aus der Literaturwissenschaft heraus weitreichende Analysen der Gegenwart entwerfen können: sei es als Flaneur in der modernen Großstadt, sei es als Analytiker moderner Mythen. Sie eröffnen Einblicke in zwei zentrale Theoriezusammenhänge des 20. Jahrhunderts: die kritische Theorie und den (Post)Strukturalismus, wo ihre pointierten Reflexionen und Bemerkungen oft ganze Lehrbücher ersetzen können. An der Beschäftigung mit Benjamin und Barthes kann man lernen, wie man (mit) Literatur denken kann, welche eigene und spezifische Erkenntnisweise die Literaturwissenschaft hat und welche Schreibweisen und Stile das eröffnet. Das Seminar versteht sich  als Einführung in und als Überblick über das Werk dieser beiden Theoretiker, als Eröffnung eines Zugangs zur ‚großen‘ Theorie des 20. Jahrhunderts und als Ausblick auf weitere Entwicklungen. Wir lesen und diskutieren ausgewählte Texte der beiden Theoretiker und diskutieren, was man mit solchen Theorien machen kann. TeilnehmerInnen sollten sich in einzelnen Sitzungen engagiert einbringen (Impulsreferat, Moderation) und verschiedene Formen des eigenen theoretischen Schreibens erproben (Kurzkritik, Denkbild, Expose, Strukturale Analyse). Bei der Schwerpunktsetzung werden Interessen der TeilnehmerInnen gerne berücksichtigt.

Bitte schaffen Sie an: Walter Benjamin: Illuminationen. Ausgewählte Schriften 1 (enthält fast alle hier behandelten Texte), Suhrkamp 2001. Die Texte von Roland Barthes sind verstreut publiziert und werden z.T. als pdf zur Verfügung gestellt, zur Anschaffung empfohlen: Roland Barthes: Mythen des Alltags, Suhrkamp 2012, ders.: Die helle Kammer, Suhrkamp 1989.

Kontrafakturen – postkoloniale, feministische und queere Umschriften von Robinson Crusoe / Dr. Claudia Hein

Daniel Defoes 1719 veröffentlichter Roman Robinson Crusoe ist mit ca. 1,2 Milliarden gedruckten Exemplaren eines der meistpublizierten Bücher weltweit und vielleicht (neben Bibel und Koran) sogar das meist gelesene. Hier beginnt der moderne europäische Roman als die erfolgreichste Gattung literarischen Schreibens bis heute. Für Jean-Jacques Rousseau ist das Buch »die beste Abhandlung über die natürliche Erziehung« und Samuel Taylor Coleridge erkennt in Robinson »a representative of humanity in general«.

Zugleich ist Defoes Roman zutiefst geprägt vom kolonialen Selbstverständnis der Zeit. Robinson ist Plantagenbesitzer und Sklavenhändler; gestrandet auf einer einsamen Insel, auf der sich alles ändert, wird er dennoch mit größter Selbstverständlichkeit zum Herrn seines einzigen, von ihm nach einem Wochentag benannten Gefährten. Frauen sind auf der Insel notorisch abwesend, die geradezu genüsslichen Beschreibungen der – natürlich –kannibalischen Wilden umgekehrt allpräsent.

Was tun mit diesem Buch – einem der zentralen Texte der Weltliteratur, Geburtsstunde des realistischen Romans, der doch untrennbar verbunden ist mit demjenigen kolonialen Denken und Handeln, das als schwere Hypothek bis heute auf unserm Weltgefüge lastet?

Wir wollen ihn zunächst einmal wirklich lesen, verstehen, einordnen. Sodann werden wir uns damit beschäftigen, wie in der Literatur mit diesem Text umgegangen wurde, welche Widerstände sich herauskristallisieren, wie gegen den Roman angeschrieben, wie er neu- und umgeschrieben wurde. Konzentrieren wollen wir uns dabei auf Kontrafakturen des 20. Jahrhunderts mit postkolonialem (J.M. Coetzees, Foe [1986]), feministischem (Marianne Wiggins John Dollar [1989]) sowie queerem Fokus (Michel Tourniers Vendredi ou la vie sauvage [1971]; dt. Freitag oder das Leben in der Wildnis).

In der Auseinandersetzung mit diesen Umschriften bewegen wir uns hinein in die Trias von race-class-gender, die es auch theoretisch zu unterfüttern gilt; dabei werden wir uns mit Fragen der Kanonisierung, der Intertextualität und mit den in der postkolonialen Theorie zentralen Konzepten des Rewriting oder Writing Back beschäftigen.

Krieg erzählen. Komparatistische Perspektiven auf Literatur über Russlands Krieg gegen die Ukraine / Dr. Jana Mende

Nachdem am 24. Februar 2022 der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine begann, begannen auch Erklärungsversuche und Positionierungen in Politik, Kultur und Gesellschaft zum Krieg. Innerhalb kurzer Zeit erschienen in Deutschland offene Briefe für und wider Waffenlieferungen an die Ukraine, die auch von namhaften Autoren und Autorinnen wie Juli Zeh, Martin Walser und Emine Sevgi Özdamar auf der einen Seite, Herta Müller, Maxim Biller oder Wladimir Kaminer auf der anderen Seite unterschrieben und unterstützt wurden.

Es folgten literarische Werke in verschiedenen Sprachen, die sich mit dem Krieg auseinandersetzten: Dabei dominieren Tagebücher, Gedichte, Essays, Facebook-Posts die Möglichkeit des literarischen Schreibens im Krieg ist begrenzt.

Wir werden uns im Seminar mit unterschiedlichen (literarischen) Textsorten beschäftigen, die den Krieg dokumentieren wie Yevgenia Belorusets‘ Tagebücher – darüber reflektieren Gedichte z.B. von Ilma Rakusa informieren, appellieren und verurteilen wie die Facebook-Posts von Serhij Zhadan oder Hintergründe erklären wie die Essays von Oksana Sabuschko.

Texte aus der ukrainischen, polnischen, deutschen, französischen Literatur konstruieren jeweils unterschiedliche Narrative, die bestimmte Lesarten des Kriegs ermöglichen oder verunmöglichen. Im Seminar beschäftigen wir uns mit diesen Narrativen, wie sie literarisch konstruiert werden, wie sie sich unterscheiden lassen und weiterentwickelt werden.

Alle fremdsprachigen Texte können auch in Übersetzung gelesen werden, Kenntnisse des Englischen sind von Vorteil, Ukrainischkenntnisse sind gerne gesehen.

Literatur und Zeitgeschehen im 19. Jahrhundert. Texte, Medien, Netzwerke / Dr. Kevin Drews

Journalismus, so formulierte es Robert Prutz 1845, sei wie ein Tagebuch, in dem die Gegenwart ein Selbstgespräch führt und „ihre laufende Geschichte in unmittelbaren, augenblicklichen Notizen einträgt.“ Mit dem Zeitschriftsteller tritt im 19. Jahrhundert ein neuer Autorentypus auf, der dieses öffentliche Gespräch forciert. Schriftsteller wie Heinrich Heine oder Ludwig Börne widmen einen Großteil ihrer Zeit der Produktion journalistischer Texte, wobei die Grenzen zwischen literarischer und politischer Publizistik fließend sind. Dabei beanspruchen sie, Repräsentanten einer neuen literarischen Epoche in Abgrenzung von Klassik und Romantik zu sein, was bis heute in literaturgeschichtlichen Epochenkonstruktionen nachwirkt.

Das Seminar bietet einen Überblick über verschiedene gegenwartsbezogene Schreibweisen und fragt: Welche Schreibverfahren wenden die Autoren für ihre kritischen Gegenwartsdiagnosen an? Welches Zeitbewusstsein artikulieren sie dabei? Wie beschreiben sie die stark beschleunigten Modernisierungsprozesse, die im 19. Jahrhundert alle Lebensbereiche betreffen? Wie positionieren sie sich zu ereignisgeschichtlichen Zäsuren wie Revolutionen oder Kriegen, zum industriellen Strukturwandel, zur Arbeiter- und Frauenbewegung? Im Mittelpunkt des Seminars stehen kleine, oft seriell verfahrende Textformen, die in Episoden von der Gegenwart erzählen und sie deuten, wie der Brief, das Reisetagebuch, der Zeitungsartikel, die Theaterrezension, das essayistische Zeitbild oder der Feuilletonroman.

In der ersten Hälfte des Seminars beschäftigen wir uns mit Autoren des ‚Vormärz‘ (H. Heine, L. Börne, C.D. Grabbe). In der zweiten Hälfte widmen wir uns Texten aus exemplarischen Zeitschriften im Umfeld des bürgerlichen Realismus (Die Grenzboten, Die Gartenlaube). Das Seminar setzt die Bereitschaft zur engagierten Lektüre unterschiedlicher literarischer Texte voraus. Für die einzelnen Sitzungen werden Expertengruppen gebildet, die sich vertiefend mit dem jeweiligen Thema auseinandersetzen und die Sitzungen moderieren.

Lektüre zur Vorbereitung: Jürgen Habermas: Zeitgenosse Heine. Endlich ist er „unser“ – aber was sagt er uns noch? [Dankrede anlässlich der Verleihung des Heinrich-Heine-Preises der Stadt Düsseldorf 2012, siehe Stud.IP]

Figuren der Wanderung in der europäischen Literatur. Streifzüge von Homer bis in die Moderne / Dr. Na Schädlich

Als Kant, Philosoph der ›Kritik der reinen Vernunft‹ (1781), über die Unterscheidung zwischen Phenomena und Noumena lehrte, begann er mit einer Allegorie, welche für das moderne poetische und philosophische Schreiben nach ihm ein geradezu klassisches Motivbild werden sollte: „Wir haben jetzt das Land des reinen Verstandes nicht allein durchreiset [...] Dieses Land aber ist eine Insel, und durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stürmischen Ozeane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank, und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt, und indem es den auf Entdeckungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abendteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen, und sie doch auch niemals zu Ende bringen kann.“ Für Kants Zeitgenossen war das Bild der suchenden Seefahrt, auch ohne an Kolumbus denken zu müssen, bereits ziemlich bekannt: Es entstammt einer großen literarischen Tradition, an deren Anfang die Argonautensage der antiken Griechen und Homers ›Odyssee‹ stehen.
Figuren der Wanderung prägen die Darstellungs- und Vermittlungssprachen der europäischen religiösen, poetischen und philosophischen Literatur. Sei es auf Land-, Wasser- oder Luftwegen, himmelwärts oder abgrundwärts, allein oder in einer Gesellschaft: Immer wieder scheint es, dass im Gehen und Bewegen das Subjekt erst denkt, spricht, lebt und ein Geschehnis erst zum Ereignis wird. Die Beliebtheit oder aber auch die Konventionalität dieser Denkfigur(en) des Wanderns ist allerdings nicht ganz selbstverständlich. Ein komparatistischer Blick würde sie z.B. in der traditionellen chinesischen Literatur nicht wiederfinden.
In diesem Sinn will das Seminar Figuren der Wanderung in ausgewählten Texten als eben KÜNSTLICHES Mittel der Darstellung und Vermittlung, der Rhetorik und der Dialektik, ins Auge fassen. Ein Reader, bestehend aus Auszügen von Homer, Dante, der Bibel, Rousseau, Nietzsche, Goethe, Rilke, Celan etc., wird bereitgestellt. Lesearbeit und aktive Reflexion der Lektüren von Seiten der TeilnehmerInnen sind gefragt, denn diese Auseinandersetzung mit der figurativen Sprache soll auch als ein Selbst-Hilfsmittel für das literaturwissenschaftliche Studium im Allgemeinen erschlossen werden.

Theorien der Lyrik / Dr. Robert Buch

Der heutige Status der Lyrik ist zwiespältig. Ihr Anteil an der jährlichen literarischen Produktion ist geringfügig; die Zahl derjenigen, die sich für sie interessieren, überschaubar. Zwar vermag sie zuweilen immer noch Skandale auszulösen, wie die Kontroverse um die Verleihung des Peter-Huchel-Preises an Judith Zander im Februar dieses Jahres bezeugt, aber ihre randständige Position im literarischen System wird kaum jemand bestreiten. Zugleich bildet sie erstaunlicherweise die Textsorte, die wie keine andere auch von Nicht-Profis praktiziert wird. Mit anderen Worten so marginal Dichtkunst gesellschaftlich ist, so weit verbreitet bleibt sie als Praxis, auch wenn dies eine Praxis ist, die weitgehend unterhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit verbleibt.

Auf ein andere Art des Nach- und Fortlebens der Lyrik, als Praxis, hat vor wenigen Jahren die Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan aufmerksam gemacht. Ob in Rhythm and Blues, Hip Hop oder Rock, hier begegnet uns ein lyrisches Sprechen von ungleich größerer Reichweite und Resonanz als jegliche andere Literaturgattung der Gegenwart. Ein anderes Indiz dafür: seit geraumer Zeit gibt es im Feuilleton der Frankfurter Allgemeine Zeitung neben ihrer renommierten, der Lyrik gewidmeten Rubrik ›Frankfurter Anthologie‹ eine ›Pop Anthologie‹, die Kommentare und Interpretationen von Pop Songs bietet.

Lyrik ist uns aus unterschiedlichen Kontexten vertraut und sie bleibt uns doch oft fremd. Ihr Potential, uns anzusprechen und zu berühren, und ihre vermeintliche Unzugänglichkeit und Verschlossenheit scheinen Hand in Hand zu gehen. Der Kurs nähert sich der mehrfachen Ambivalenz der Lyrik nicht über einzelne Gedichte oder bestimmte Autoren, sondern über eine Reihe theoretischer Auseinandersetzungen und exemplarischer Lektüren, die uns dazu anregen, über die Voraussetzungen und Eigenart von Lyrik, ihre Mittel und ihren Zweck nachzudenken. Die Ansätze, denen wir uns dafür zuwenden, reichen von philosophischen Annäherungen wie Adornos kritischer Bestandsaufnahme in seiner »Rede über Lyrik und Gesellschaft« oder Gadamers hermeneutischen Reflexionen über das Verhältnis von »Gedicht und Gespräch« über einschlägige ältere literaturwissenschaftliche Beiträge wie Käte Hamburgers »Logik der Dichtung« oder Hugo Friedrichs »Die Struktur der modernen Lyrik« bis hin zu vergleichsweise neueren theoretischen Arbeiten wie Julia Kristèvas (post-)strukturalistische »Revolution der poetischen Sprache« oder Marjorie Perloffs Engführung von moderner Lyrik und Wittgensteins Sprachphilosophie.

Voraussetzung für die Teilnahme ist neben Interesse an Lyrik, die Bereitschaft, sich auf theoretische Texte einzulassen, sowie keine Scheu davor, auch englischsprachige Forschungsliteratur zu lesen.

Lektüreempfehlungen:

Heinz Schlaffer, Geistersprache. Zweck und Mittel der Lyrik, Reclam, 2015.

Jonathan Culler, Theory of the Lyric. Cambridge, Harvard UP, 2015.

Essays der Aufklärung: Hume, Diderot, Herder / Prof. Dr. Daniel Weidner

Die Aufklärung ist ein essayistisches Unternehmen.  Sie versucht, die Philosophie in die Welt zu bringen und eine neue Form von Öffentlichkeit zu produzieren, indem sie die Diskurse vermischt – die Philosophie und Gelehrsamkeit mit der Historie, die Kunstkritik mit der Theorie, den Dialog mit der Abhandlung. Die AutorInnen der Aufklärung gehen experimentell vor, arbeiten an den Grenzen etablierter Forschungsfelder und inszenieren sich zugleich auch selbst: entwerfen Schreibszenen, bringen ihr subjektives Urteil ein und nutzen die Rhetoriken des self-fashioning, um die eigene Autorität zu behaupten und neue kommunikative Verbindungen herzustellen. Dabei verläuft die Grenze von Literatur, Philosophie, Wissenschaft, Publizistik anders als wir das üblicherweise erwarten – schon das ist essentiell für das Verständnis der Epoche –; auch Kritik, ein Grundgeschäft der Aufklärung, hat immer auch den Charakter der Probe, des Experiments – eben des Essays. Das Seminar führt an drei Autoren – Hume, Diderot und Herder – in das essayistische Schreiben der Aufklärung ein und wirft auch einen Blick in die historischen Kontexte (Montaigne, Bacon, Moral weeklies) und theoretischen Bestimmungen (Adorno, Parr u.a.) essayistischen Schreibens, weitere Themen sind je nach Interesse möglich

Bitte anschaffen: David Hume: Selected Essays. Oxford World Classics, 2008. Denis Diderot: Erzählungen und Gespräche. Aus dem Französischen übertragen von Katharina Scheinfuß. Mit einer Einführung von Victor Klemperer (div. Ausgaben, antiquarisch). Herder müssen wir verstreut aus Pdfs lesen. Zur Einführung: Christian Schärf: Geschichte des Essays - Von Montaigne bis Adorno, Vandenhoeck & Ruprecht, 1999.

Schwache Männer? Fiktionen des Niedergangs im Gegenwartsroman / Neela Janssen

„Ich  bin schon als Schwächling auf die Welt gekommen und meine Privilegien  haben mich nur noch weiter geschwächt“, stellt der Erzähler in Simon  Strauß’ 2017 erschienenem Text Sieben Nächte fest und ruft damit  ein Motiv auf, das sich in der aktuellen Gegenwartsliteratur großer  Resonanz erfreut: das Bild des schwächelnden Mannes. Positioniert  inmitten einer von Individualismus und Dekadenz geprägten westlichen  Gesellschaft scheint der Mann all seine vitalen Kräfte verloren zu  haben. Dieser Imagination wollen wir im Seminar folgen: Wie wird in  gegenwärtigen Fiktionen eine Geschichte des Niedergangs erzählt? Welche  Rolle spielen dabei die männlichen Figuren? Und wie knüpfen diese  Narrative an Dekadenz-Diskurse des 19. und 20. Jahrhunderts, aber eben  durchaus auch an neurechte Klagen des Verfalls an?

Wir werden dafür im Verlauf des Seminars drei Texte intensiv besprechen: Michel Houellebecqs Unterwerfung (2015), Simon Strauß’ Sieben Nächte (2017) und Monika Marons Artur Lanz (2020). Anhand dieser drei Lektüren (ergänzt durch Sekundärliteratur  und Texte zur Rezeption) machen wir uns gemeinsam auf die Suche nach  Erzählungen von (schwacher) Männlichkeit in der Gegenwart und befragen  diese Erzählungen auf ihre Vorannahmen, Implikationen und Lücken. Die  gründliche Lektüre der Romane sowie der Sekundärtexte wird  vorausgesetzt, ebenso wie die Bereitschaft, sich aktiv an den  Seminardiskussionen zu beteiligen.

Literary Landscapes / Dr. Jana Mende

Literary Landscaping – die Entdeckung und Vermessung von Literatur im Raum einer Landschaft oder Stadt - verbindet verschiedene Sichtweisen auf Literatur in der Öffentlichkeit: Es verzeichnet reale und fiktive Orte der Literatur, bildet Texträume und geographische Räume aufeinander ab, beschreibt wie Menschen diese Räume benutzen und sich diese erzählen lassen. Das hilft uns, Texte besser zu verstehen und zu vermitteln – etwa im Literaturtourismus, wo literarische Schauplätze zu beliebten Reisezielen werden und Leser*innen dann in die Welt ‚ihrer‘ Autor*innen eintauchen – ob am Gleis 9 ¾ in London, in Kafkas Prag oder auf den Spuren des ‚dritten Manns‘ durch die Stadt Wien. Immer geht es darum, in den öffentlichen Raum hineinzugehen und Literatur mit der alltäglichen Lebenswelt zu verknüpfen. Ein – allerdings sehr fortgeschrittenes Beispiel – findet man hier: Europäischer Literaturatlas: https://www.literaturatlas.ethz.ch/   

Wir wollen in dem Seminar praktisch und kreativ mit solchen in der Literaturwissenschaft ungewohnten Verfahren ein Projekt zur Literaturlandschaft in Halle erarbeiten. Im Format des Design-Sprints entwirft das Seminar-Team das Konzept und eine erste Realisierung eines solchen Projektes – sei es eine Karte, ein literarischer Wegweiser, eine App, ein Stadtspaziergang … Was genau daraus entsteht, wie es aussieht und funktioniert, wird gemeinsam im Team entwickelt, das Produkt werden wir gemeinsam testen und vorstellen.

Das Seminar ist ausschließlich für Masterstudierende bestimmt. Aufgrund der besonderen Anlage des Projektseminars ist es notwendig, an allen Terminen des Blockseminars (siehe oben) teilzunehmen.

Nachfragen bitte an

Das Irrationale in der Romantik / Dr. des. Marcel Matthies

Die Romantik entdeckt das Irrationale. Doch was ist eigentlich das Irrationale? Wie wird darüber erzählt? Wie sehr wird die menschliche Natur von irrationalen Kräften beherrscht? Woraus speist sich die Faszinationskraft des Irrationalen? Durch welche Themenfelder wird die Nachtseite der Vernunft in den literarischen Texten inszeniert? In welchem Verhältnis steht das Irrationale zum Herrschaftsanspruch der vernunftgeleiteten Aufklärung? Und wie lässt sich etwa die für diese Literatur typische Hinwendung zu einem magisch-dämonischen Weltbild einordnen?
Nach 1945 war die deutsche Romantik zunächst weitgehend diskreditiert: Laut Thomas Mann ist sie durch ihre Hingabe an das Irrationale und die Vergangenheit ihrem innersten Wesen nach Verführung zum Tode. Der deutsche Romantizismus sei in hysterische Barbarei ausgebrochen und habe in der nationalen Katastrophe sein schauerliches Ende gefunden. Auch andere Intellektuelle zogen in der Nachkriegszeit eine Verbindungslinie zwischen der deutschen Romantik und dem Nationalsozialismus. In der ersten Sitzung am 12.04. werden wir auf der Grundlage des 21. Kapitels aus Victor Klemperers LTI darüber diskutieren. Weiterhin werden wir Texte von Achim von Arnim, Clemens Brentano, Adelbert von Chamisso, Annette von Droste-Hülshoff, Joseph von Eichendorff, Friedrich de la Motte Fouqué, Wilhelm Hauff, E.T.A. Hoffmann, Mary Shelley, Ludwig Tieck, Horace Walpole und den Brüdern Grimm lesen.

Werkstatt Zeitschriftenredaktion / Dr. Claudia Hein

Im Seminar wollen wir gemeinsam ein Heft einer wissenschaftlichen Zeitschrift zusammenstellen und zu Publikationsreife bringen. Die Teilnehmenden sollen Einblicke in die Werkstatt einer Zeitschriftenredaktion bekommen und dabei selbst als Redakteur:innen und Autor:innen tätig werden.

Arbeitsgrundlage sind von Studierenden im universitären Kontext verfasste Texte, also etwa Hausarbeiten oder Essays, vielleicht Rezensionen. Für unsere Zeitschrift werden wir Beiträge akquirieren, in gemeinsamen Redaktionssitzungen besprechen und die Texte auswählen, die für eine Publikation in Frage kommen; Kritikpunkte und Überarbeitungswünsche gilt es den Autor:innen gewinnbringend zu kommunizieren; nach der Überarbeitung geht es um ein inhaltliches und stilistisches Lektorat der Beiträge; danach folgt die professionelle Fahnenkorrektur.

Die leitende Frage des Seminars ist die nach der ›Gemachtheit‹ wissenschaftlicher Texte. Gute und überzeugende Texte fallen in den seltensten Fällen vom Himmel, sie sind meist Ergebnis konzentrierter Arbeit mit und an Geschriebenem. Aber was macht einen Aufsatz zu einem guten wissenschaftlichen Text? Wie lassen sich Fragestellungen und Argumentationen schärfen? Und wie kann man Erarbeitetes klar, verständlich und gut lesbar vermitteln? Mit diesen Fragen wollen wir uns anhand schon geschriebener Text auseinandersetzen und diejenigen Werkzeuge kennenlernen und einüben, die für die eigene Textproduktion ebenso entscheidend sind wie für eine spätere potentielle Tätigkeit in den geisteswissenschaftlichen Berufsfeldern von Textredaktion oder Lektorat.

Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz / Dr. Robert Buch

Döblins Berlin Alexanderplatz (1929) ist viele verschiedene Dinge auf einmal. Ein modernes Epos und ein Großstadtroman; ein Buch, das Massenmedien und Massenkultur in sich aufgenommen hat; ein virtuoses Spiel mit mythologischen Narrativen und Figuren; eine Art medizinisch-psychiatrische Fallstudie. Die Vielfalt des Werks spiegelt sich auch in den vielen verschiedenen Diskursen und Sprachregistern, die im Roman zum Einsatz kommen. Wir hören die Stimmen der Wissenschaft, der Justiz und Verwaltung, von Politik und Kommerz, der Reklame, des Kinos und der Schlagermusik; wir hören das Berlinerisch der Proletarier und Kleinbürger, das Argot des Nachtlebens und des kriminellen Milieus, in das Franz Biberkopf, die Hauptfigur, hineingerät, und schließlich sind da die traumatisierten Stimmen des Ersten Weltkriegs, die in Franz’ Kopf herumgeistern.

Berlin Alexanderplatz ist von epischer Breite und sein Ehrgeiz besteht in nichts weniger, als ein literarisches Panorama der Großtstadt vor uns auszubreiten. Aber einem solch vermeintlichen Anspruch auf Totalität und Ganzheit steht die polyphone und kaleidoskopische Struktur des Werks entgegen, die die besondere Faktur des Romans ausmacht und maßgeblich zu seiner Wirksamkeit beiträgt. Das Werk gilt als ›Klassiker‹ der Moderne, partizipiert aber wie sein Autor gleich an mehreren ästhetischen Programmen. Döblin stand ursprünglich dem Naturalismus nah; er trug wesentlich zur Verbreitung des italienischen Futurismus in Deutschland bei; seine Arbeit wurde dem literarischen Expressionismus und dem Dadaismus zugeordnet, er selbst bekannte sich zu einem Schreiben im Zeichen der Neuen Sachlichkeit, zwischen Dokumentation und Fiktion. Zudem wurde Berlin Alexanderplatz insbesondere in die Nähe von James Joyce’ Ulysses, aber auch von John Dos Passos’ Manhattan Transfer gerückt.

Im Mittelpunkt des Kurses steht die Lektüre des Romans. Wir lesen außerdem einschlägige poetologische Beiträge Döblins sowie eine Reihe literaturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit dem Roman.

Berlin Alexanderplatz wurde mittlerweile dreimal als Film adaptiert. Das erste Mal schon 1931, dann 1980 als Fernsehserie von Rainer Werner Fassbinder und zuletzt 2020 von Burhan Qurbani, einem deutschen Regisseur afghanischer Herkunft, der das Geschehen in die Gegenwart versetzt und den Part von Franz Biberkopf von einem afrikanischen Flüchtling, Francis, übernehmen lässt. Je nach Interesse und verfügbarer Zeit werden wir uns auch mit diesem filmischen ›Nachleben‹ des Romans beschäftigen.

Auschwitz als Tatort und Erinnerungsort im Spiegel der Literatur / Dr. des. Marcel Matthies

Die Vergangenheit verändert sich fortlaufend. Was das heißt, wird am Wandel im Umgang mit der Erinnerung an Auschwitz deutlich. In der Veranstaltung wollen wir vor allem literarische Texte über Besuche des Museums Auschwitz-Birkenau zum Gegenstand der Untersuchungen machen, um an individuellen Auseinandersetzungen mit dem Extrem-Ereignis die Grenzen des Verstehens auszuloten. Wir werden dabei auch auf verschieden ausgerichtete Horizonte historischen Bewusstseins stoßen und an ihnen zu erschließen versuchen, inwiefern die individuelle Wahrnehmung des Erinnerungsortes durch offizielles und öffentliches Erinnern beeinflusst wird. Um die Diskrepanz zwischen Tatort und Erinnerungsort besser nachvollziehen zu können, werden wir auch wenige, von Augenzeugen geschriebene Texte über das Geschehen am Tatort lesen.
Wie wird im Text der Ausstellungscharakter des Erinnerungsortes reflektiert? Inwiefern thematisiert der Text das Verhältnis zwischen Authentizitätsanspruch und Musealisierung? Welche Folgen hat die Musealisierung von Auschwitz-Birkenau? Lässt sich der Anspruch überhaupt erfüllen, die Monstrosität des Verbrechens nachträglich durch den Besuch des Erinnerungsortes zu dokumentieren? Was sagt uns der Aussagegehalt des jeweiligen Texts über millionenfaches Morden, das sich trotz des zunehmenden zeitlichen Abstands wohl kaum fassen, geschweige denn bewältigen lässt? Wie werden Reisen an den Erinnerungsort ästhetisch inszeniert? Womit konfrontiert uns die jeweilige literarische Darstellung des Erinnerungsortes? Wie hängen Erzählen, Geschichtsbewusstsein und Sinnkonstruktion zusammen? Wird das historische Geschehen im Text sinngebend gedeutet? Wie lässt sich überhaupt über das Nicht-Erzählbare erzählen? Diesen Fragen wollen wir an Texten von Günther Anders, Maxim Biller, Peter Edel, Erich Fried, Iris Hanika, Stephan Hermlin, Ruth Klüger, Hans Mayer, Primo Levi, Tadeusz Różewicz, Rolf Schneider, Peter Weiss und anderen nachgehen.

Forschungskolloquium Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Prof. Dr. Daniel Weidner

Das Forschungskolloquium dient der Vorbereitung und Begleitung der Masterarbeit: Die TeilnehmerInnen entwickeln ihre thematischen Interessen, ihre Fragestellung und die Konzeption Ihrer Arbeit und stellen das jeweils zur Diskussion. Darüber hinaus dient das Kolloquium zur Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen der Forschung, die Auswahl richtet sich hier ebenfalls nach den Interessen der Teilnehmerinnen. Auch allgemeine Fragen zur Schreib- und Arbeitspraxis sowie zum wissenschaftlichen Selbstverständnis können hier diskutiert werden – in diesem Zusammenhang können etwa auch grundlegende Texte über Literaturwissenschaft lesen. Und in der letzten Sitzung lesen wir gemeinsam einen frei gewählten literarischen Text.

Wintersemester 2022-23

Ringvorlesung: Wie wir lesen – und wozu. Wege, Praktiken und Formen der Lektüre / Prof. Dr. Daniel Weidner et al.

Wie lesen wir eigentlich und was versprechen wir uns davon? Welche Art der Erkenntnis lässt sich an Literatur im engeren oder im weiteren Sinn gewinnen, und wie gehen wir vor, um diese Erkenntnis zu sichern und zu vermitteln? Welche Formen können Lektüren annehmen, welche Rolle spielen sie in individuellen und kollektiven Lebenszusammenhängen? Wie fügen sich bestimmte Lektüren in historische und biographische Rückblicke oder prospektive Lebensentwürfe ein? Ausgehend von diesen grundsätzlichen Fragen möchte die Ringvorlesung die verschiedenen Philologien der MLU vorstellen und ins Gespräch bringen, sowohl untereinander als auch mit anderen Fächern.

Nach dem Lesen fragen – das zielt weder auf eine Methodendiskussion, noch auf eine Rechtfertigung des ‚alten‘ Mediums Literatur im digitalen Zeitalter oder der Literaturwissenschaft im Zeichen ihrer notorischen Krisen. Die Ringvorlesung will vielmehr von der konkreten Leistung der jeweiligen Philologie her über das Lesen als vielfältige kulturelle Praxis nachdenken. Was können die Literaturwissenschaften, wie leisten sie das, was sie können? Wie verhält sich literaturwissenschaftliches Lesen zum Lesen überhaupt: Zehrt die Wissenschaft von der naiven Lektüre, korrigiert sie diese, beobachtet sie, leitet sie an, ‚bildet‘ sie gar? Und allgemeiner: wo und wann wird was überhaupt gelesen? Was macht eine gelungene Lektüre aus? Wo hat man selbst wirklich etwas gelernt?

Solche Fragen richten sich nicht nur an die Gegenwart, denn das Lesen hat seine eigenen Geschichten: Warum, mit welcher Wirkung und zu welchem Zweck haben sich manche Leseerlebnisse ins Gedächtnis eingeprägt und andere nicht? Welche Rolle spielen etwa identifikatorische Lektüren der Kindheit und Jugend, das Ein- und Abtauchen in Texte, die Erinnerung an Lektüren, deren Intensität nicht wiederholbar scheint? Und was lesen wir eigentlich wie: Müssen literarische Texte anders gelesen werden als solche der Geschichte, der Philosophie, der Religion etc., oder lassen sich literaturwissenschaftliche Lektüren auch auf andere Texte übertragen? Welche Ansätze erweisen sich dabei als besonders produktiv – und wie genau machen sie das?

Antwortversuche auf diese und andere Fragen berühren auch das für die Literaturwissenschaft grundlegende Problem der unterschiedlichen Positionierungen und Funktionen literarischer Texte: Kreisen sie um die immer gleichen Fragen oder faszinieren sie, weil sie in der Lage sind, neue Themen zu benennen und durchzuspielen? Betrachtet Literatur kulturelle und gesellschaftliche Konflikte vom Rand her und kann so marginalisierten Positionen eine Stimme geben? Oder steht sie für das Zentrum, für die wesentlichen und oft nicht bewussten Tropen und Phantasmen, über die die Gesellschaft sich selbst denkt? Wo finden wir überhaupt die Texte, die wir gelesen haben, lesen wollen oder gerne lesen würden? Am Rand oder im Zentrum des Kanons? Im Archiv? Im Nicht-Gelesenen? Im Beiwerk?
Anstatt abstrakte Diskussionen um die ‚angemessene‘ Form der Lektüre zu führen, mag es auch hier fruchtbarer sein, sich darüber klar zu werden, welche Lektüre was genau leisten kann. Denn jede(r), die oder der das Lesen zu ihrem bzw. seinem Beruf gemacht hat, weiß, dass es bei dieser Tätigkeit auch Momente jenseits (oder diesseits?) der Methode gibt: den richtigen Moment, einen bestimmten Rhythmus oder Takt in der Lektüre, die Überraschung, weil etwas ganz Neues, Unbekanntes entdeckt wird. Welchen eigenen Weg nimmt man durch das Dickicht der Texte, welche Interessen und Wünsche verbinden sich mit dem Lesen? Alle teilnehmenden Kolleg*innen sind aufgefordert, auch subjektive Momente zu thematisieren: den eigenen Standpunkt, die eigenen Erfahrungen und Praktiken – um so den vielen ‚Lüsten‘ (plaisirs) der Literatur Raum zu geben, die sich nicht auf die eine Lust am Text reduzieren lassen. Gerne können auch exemplarische Lektüren vorgestellt werden, die die Stärken des jeweiligen Zugriffs und zugleich die Besonderheiten der verschiedenen Philologien oder Fachdisziplinen verdeutlichen können.

Texte – Lektüren – Theorien für Fortgeschrittene. Einführung in das Masterstudium der Literaturwissenschaft / Prof. Dr. Daniel Weidner

Dieses Seminar dient als Einführung in die literaturwissenschaftlichen Masterstudiengänge, kann aber auch von LA Mastern und Fortgeschrittenen Masterstudierenden besucht werden, die ihr Fach besser kennenlernen wollen. Sie sollen darin ihre Lektürekompetenzen und Theoriekenntnis vertiefen und in die Lage versetzt werden, selbständig zu forschen. Wir blicken auf das bereits Gelernte zurück und prüfen durch gemeinsame Textarbeit unsere Lektüre- und Interpretationspraxis. Wir beschäftigen uns mit den Geschichten der jeweiligen Fächer und stellen einander in einem parcours die grundlegenden Theorien und (je nach Interesse) neue Forschungsfragen vor. Wir üben das Schreiben, indem wir miteinander schon geschriebene Hausarbeiten diskutieren, Essays schreiben und wechselseitig redigieren, Strategien zur Themenfindung und Disposition entwickeln und uns über typische Probleme wissenschaftlichen Schreibens (Zitateinbettung, Literaturverwendung, Arbeitsökonomie etc.) austauschen.

Vorbereitung: Sie können sich ein (oder mehrere) Einführungsbuch in Ihr Fach ansehen und überlegen, was Sie darin finden und was darin fehlt. Bringen Sie das in die erste Sitzung mit.

Zergliedern – verschieben – arrangieren: Verfahren der Montage in der Literatur des 20. Jahrhunderts / Kevin Drews

Montagetechniken spielen in vielen Kunstbereichen im 20. Jahrhundert eine wichtige Rolle und wir begegnen ihnen beispielsweise im Film, in der Malerei, der Fotografie oder der Musik. Während sie im Film zunächst ein technisches Verfahren zur Erzeugung von Bewegung darstellt, besteht die Montage als literarisches Verfahren darin, heterogene Materialien aus verschiedenen Bereichen zu sammeln und in neue Kontexte zu versetzten. Das betrifft sowohl die literarische Arbeit mit unterschiedlichen (fremden) Texten als auch die Integration von Bildern, Fotos, Zeitungsartikeln, Reklame oder anderen alltäglichen Textformen. Manchmal agiert die Montage dabei verdeckt, häufig wird sie aber als Konstruktionsprinzip des literarischen Werkes demonstrativ zur Schau gestellt. Die Montage kann z.B. dazu dienen, Einschnitte oder Brüche zu markieren, eine fragmentierte Lebenswirklichkeit vorzustellen, narrative Sinnzusammenhänge zu unterbrechen oder aber eine multiperspektivische Wahrnehmungsweise zu befördern.

Der Schwerpunkt des Seminars liegt auf der Beschäftigung mit konkreten Montagepraktiken (zergliedern, herausreißen, verschieben, neu zusammenfügen) und ihren Funktionen sowohl auf produktions- als auch auf rezeptionsästhetischer Ebene. Seminarleitende Fragen sind: Worauf reagiert der Einsatz von Montagetechniken? Was versprechen sich unterschiedliche Autor:innen von der Montage? Wie wird mit verschiedenen Materialien umgegangen? Wie verändern sich Begriffe wie ‚Autorschaft‘, ‚Werk‘ oder ‚Originalität‘ durch Praktiken der Kombination/Konfrontation/Reihung heterogener Materialien? Dabei beschäftigen wir uns u.a. mit der Lyrik des Dadaismus, dem Roman (Alfred Döblin, John Dos Passos), dem Drama (Erwin Piscator, Bertolt Brecht), der ‚Cut-up‘-Poetik der Beat-Generation und der frühen ‚Pop‘-Literatur (Hubert Fichte, R. D. Brinkmann). Ziel des Seminars ist es, einen Überblick über die vielfältigen Einsatzformen der Montage in der Literatur des 20. Jahrhunderts zu gewinnen. Das Seminar setzt die Bereitschaft zur engagierten Lektüre unterschiedlicher literarischer Texte voraus. Für die einzelnen Sitzungen sollen Expertengruppen gebildet werden, die sich vertiefend mit dem jeweiligen Gegenstand auseinandersetzen, um so die Sitzungen moderieren zu können.

++ Es wird empfohlen, die Romane ‚Berlin Alexanderplatz‘ (Döblin) und ‚Manhattan Transfer‘ (Dos Passos) bereits vor Semesterbeginn zu lesen. ++

Lektüre zum Einstieg:

Žmegač, Viktor: ‚Montage/Collage‘. In: Moderne Literatur in Grundbegriffen, hg. v. Dieter Borchmeyer/ders., Berlin/Boston 2013, S 286-291.

Klotz, Volker: Zitat und Montage in neuerer Literatur und Kunst. In: Sprache im technischen Zeitalter 60 (1976), S. 259–277.

Mehrsprachige Lyrik / Dr. Jana Mende

„Das Gedicht ist in einer Sprache geschrieben.

Das Gedicht ist niemals in einer Sprache geschrieben.

Das einsprachige Gedicht spricht mehr als eine Sprache.

Das mehrsprachige Gedicht spricht als Sprache.“

Uljana Wolf, Etymologischer Gossip, Essays und Reden, 2020, S. 127.

Mehrsprachigkeit findet sich in der Lyrik in vielfacher Form: im Reimschema und der metrischen Struktur von Gedichten, als semantische Entlehnungen auf der Wort- oder Satzebene, als latente oder manifeste Mehrsprachigkeit im Versbau. Nicht nur die Form, auch die Sprachwahl sind dabei bedeutsam: verschiedene Sprachen erfüllen dabei unterschiedliche poetische Funktionen.

Im Seminar befassen wir uns zunächst mit einem historischen Überblick über mehrsprachige Dichtung von makkaronischen Versen bis zur postmodernen multilingualen Lyrik. Wir werden uns mit verschiedenen theoretischen Konzepten von Mehrsprachigkeit in der Literatur beschäftigen: mit der individuellen Mehrsprachigkeit von Autor*innen, mit Mehrsprachigkeit in der Gesellschaft und mit poetischen Formen von Mehrsprachigkeit. Danach werden wir anhand einzelner Gedichte und Autor*innen verschiedene Formen und Funktionen mehrsprachiger Lyrik besprechen. Wir beschäftigen uns u.a. mit Uljana Wolf, Friederike Mayröcker, Theresa Hak Kyung Cha, Dagmara Kraus, es wird aber auch Gelegenheit zur eigenständigen Schwerpunktwahl geben.

Voraussetzungen: Wir werden im Seminar Texte in verschiedenen Sprachen (Englisch, Französisch, Deutsch, Polnisch, Russisch u.a.) lesen, Sprachkenntnisse sind dabei von Vorteil, werden aber nicht erwartet. Eine generelle Bereitschaft, sich mit schwer verständlichen Texten zu befassen, wird angenommen.

Der Blick des Flaneurs – Großstadtliteratur der 1920er Jahre / Neela Janssen

Am Beispiel der Stadt Berlin und ihren literarischen Beschreibungen aus den 1920er Jahren werden wir uns in diesem Seminar ausführlich mit der Figur des Flaneurs als Autor und Beobachter der Großstadt beschäftigen. Es gilt, den spezifischen Blick des Flaneurs auf seine Umwelt zu untersuchen und zu den literarischen Formen in Beziehung zu setzen, in denen er seine Eindrücke auf Papier zu bannen versucht: Was genau passiert in diesen häufig in Form des Essays oder der Zeitungskolumne gehaltenen Texten? Von was berichten sie? Was versuchen sie zu vermitteln? Mit Miniaturen und Auszügen von Franz Hessel, Siegfried Kracauer, Walter Benjamin, Georg Simmel, Erich Kästner u.a. begeben wir uns auf eine literarische und literaturwissenschaftliche Spurensuche in das Berlin der 1920er Jahre.

Im zweiten Teil des Seminars werden wir uns aber auch mit den Leerstellen, den blinden Flecken dieser Texte auseinandersetzen: Welchen Fokus hat der Blick des Flaneurs, was bleibt ihm verborgen? Welche bürgerlichen, männlich-codierten Stimmen sprechen aus den behandelten Beispielen? Zum Abschluss wagen wir uns dann an eine Aktualisierung für die Gegenwart: Wie wird im 21. Jahrhundert über die Großstadt geschrieben? Was prägt den literarischen Blick auf die Stadt und ihre Gegenwart heute? Und was ist aus der Praxis des (literarischen) Flanierens geworden?

Die Bücher und das Buch: Einführung in die literarische Rezeption biblischer Stoffe, Figuren und Formen / Prof. Dr. Daniel Weidner

Bis in die Gegenwart beziehen sich zahlreiche literarische Texte auf Geschichten und Figuren aus der Bibel, und die Bibel ist selbst einer der wichtigsten Texte der Weltliteratur, der bis in die Neuzeit hinein bestimmt, was man sich unter einem Buch vorstellt. Das Seminar versteht sich als Einführung in diese Beziehung und zugleich in die allgemeinen Fragen literarischer Rezeption und der Beziehung von Literatur und Religion. Zunächst lesen wir verschiedene biblische Texte und beschäftigen uns mit deren literarischen Formen. Wir diskutieren Praktiken wie Kommentar, Interpretation und Übersetzung biblischer Texte und werfen einen Seitenblick auf den Umgang mit der Bibel in Judentum und Islam. Anschließend untersuchen wir an verschiedenen Beispielen aus der Literaturgeschichte (Interessen der Studierenden werden gerne berücksichtigt), wie literarische Texte mit biblischen Stoffen und Formen umgehen. Das reicht von geistlichen Gedichten oder Bibeldramen über die kreative Nacherzählung biblischer Stoffe bis zu Zitaten biblischer Texte oder zu Anspielung auf biblische Figuren und Motive in Texten mit ganz anderer Thematik. Bei Interesse können auch andere Medien wie Malerei und Film einbezogen werden. Dabei entwickeln wir eine Typologie literarischer Rezeption und beschäftigen uns auch mit den ideologischen Konflikten über Religion, Gender, Herrschaft etc., die in solchen Rezeptionen mitschwingen.
Vorbereitung: Lesen Sie in der Bibel! Besonders Genesis, Exodus, 1. und 2. Samuel, Markusevangelium

Annäherungen an künstliche Paradiese. Literatur, Sucht und Rausch / PD Dr. Peter Waldmann

In diesem Seminar wird nicht nur die literarische Darstellung von Drogenerfahrungen untersucht, sondern auch eine Kulturgeschichte des Rausches umrissen. Überspitzt kann man sagen, dass es erst die Erfahrung des Rausches war, wie er in den antiken, dionysischen Festen der Überschreitung erlebt wurde, die am Beginn der abendländischen Zivilisation die tragische Kunst überhaupt ermöglichte. Die tragische Kunst fand in den dionysischen Festlichkeiten ihr Motiv, weil, wie Nietzsche anmerkt, der Mensch im Rausch selbst zum Kunstwerk wird. Denn ähnlich der Kunst und der Literatur sind es ja die Drogen, die, wie Huxley betont, die Pforten der Wahrnehmung aufbrechen, ja sprengen. Diese andere Sicht auf die Dinge zeigt Alternativen zur festgefügten Welt des Alltags auf. Der Rausch als eine Form der profanen Erleuchtung kann also, wie Benjamin und die Surrealisten glaubten, wie die Kunst für die Revolution nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig steht jedoch der Rausch – und darauf machen Nietzsche wie auch Baudelaire (in seinen Reflexionen zum Haschisch) aufmerksam – dem künstlerischen Prinzip der formalen Gestaltung diametral entgegen. Für Lacan, der die strukturalistische Psychoanalyse begründet hat, sind es ja die psychotischen Halluzinationen des Deliriums, die als Symptom vom Zusammenbruch jeglicher symbolischen Ordnung und damit jeglichem Gestaltungsprinzip künden. Die sprachliche Ordnung sichert jedoch erst die Stabilität eines Individuums. Die paranoide Rauscherfahrung zeigt also den Süchtigen in seiner tragischen Existenz, dem in seinem Ausgeliefertsein durch einen tiefgreifenden Kontrollverlust die Zerstörung droht. Der Süchtige wird also in der Literatur der Moderne zu einer wichtigen Gestalt, der wie auch der Wahnsinnige provoziert, weil er die erschütternde Wahrheit über unsere Gefährdung als Subjekt zeigt, die wir allzu gerne ausblenden und verdrängen wollen.

Behandelt werden in diesem Seminar folgende Autoren: Euripides, Nietzsche, Poe, De Quincey, Baudelaire, Benn, Trakl, Rheiner, Fallada, Jünger, Roth, Huxley, Pitigrilli, Benjamin, Breton, Lowry, Burroughs, Fauser und Cailloux.

Zur Vorbereitung auf das Seminar empfehle ich: Alexander Kupfer: Die künstlichen Paradiese. Rausch und Realität seit der Romantik. Ein Handbuch. Stuttgart/Weimar: J. B. Metzler, 2006.

Literatur im Zeichen von Flucht und Exil / Dr. des. Marcel Matthies

Im Seminar wollen wir der Frage nachgehen, wie Fluchterlebnisse und Exilerfahrungen literarisch verarbeitet werden. Welcher Sprache bedient sich die Darstellung von Flucht (infolge von Krieg, Vertreibung, Verfolgung, Umsiedlung oder anderer Notlagen)? Wie wirkt sich das Verlassen der vertrauten Umgebung auf das Identitätsgefühl eines Menschen aus? Welche erzählerischen Strategien werden angewandt, um Verlust und Verzweiflung im Exil darzustellen? Inwiefern unterscheidet sich Flucht von Migration? Welche Bedeutung hat die Exilerfahrung im kulturhistorischen Kontext jüdischer Kultur und Geschichte?

Gemeinsam werden wir möglichst dicht am jeweiligen Text diskutieren, wie die Themen Flucht und Exil in den Erzählungen, Kurzgeschichten, Essays und einem Roman gestalterisch vermittelt werden. Zur ersten Sitzung (am 14.10.) ist Doron Rabinovicis Rede „Das Versagen der Heimat“ kritisch zu lesen, die er am 8. März 2018 anlässlich der Eröffnung der Dauerausstellung „Exil. Erfahrung und Zeugnis“ in Frankfurt a. M. hielt (abrufbar im Stud.IP). Wir werden Texte von Jean Améry, Hannah Arendt, Rose Ausländer, Maxim Biller, Mascha Kaléko, Elisabeth Pfeil, Joseph Roth, Edward Said, W.G. Sebald, Ece Temelkuran, Artem Tschapa, Serhij Žadan und anderen lesen. Die regelmäßige Teilnahme, die Lektüre der Texte, die Übernahme eines Impulsreferats und die Anschaffung der Taschenbuchausgabe (Fischer Verlag, 11€) von Maxim Billers »Sechs Koffer« werden vorausgesetzt.

Digitale Literaturgeschichte: Netze, Knoten und Kanten / Dr. Jana Mende

Digitale Ansätze der Literaturgeschichte analysieren große Korpora literarischer Werke und beschreiben Muster und Strukturen, die in diesen sichtbar werden. Netzwerke und die darin enthaltenen Knoten und Kanten, die das Netzwerke bilden, sind ein zentrales Modell dieser quantitativen Ansätze. So heißt es in der bis jetzt einzigen Digitalen Literaturgeschichte von Thomas Weitin: „Netzwerkanalyse ist also für uns keine Methode unter anderen, wir verwenden sie als übergeordnetes Modell, weil es uns auf die Position einzelner Texte und Textgruppen innerhalb größerer Gesamtheiten ankommt. Anders gesagt, wir halten Netzwerke für ein besonders angemessenes Instrument der literaturwissenschaftlichen Korpusanalyse“ (Weitin 2021, S. 23).

Texte und Textgruppen entlang von Epochen, Epochengrenzen, literarischen Strömungen und Bewegungen zu modellieren und als stilometrische, inhaltliche oder soziale Netzwerke zu visualisieren, ist das Ziel dieses Seminars. Dazu lernen Sie Grundlagen der literaturwissenschaftlichen Netzwerktheorie kennen, befassen sich mit aktuellen Forschungen zur literaturwissenschaftlichen Netzwerktheorie und üben, selbst mit verschiedenen Netzwerktools Netzwerke zu erstellen.

Teilnahmevoraussetzungen:

Bitte stellen Sie sicher, dass Sie an möglichst allen Terminen teilnehmen können. Da wir für die Arbeit mit den verschiedenen Programmen viel Zeit benötigen, findet die Veranstaltung geblockt statt.

Es sind keine technischen Vorkenntnisse nötig.

Literatur (Auswahl):

Eder, Maciej (2017): Visualization in stylometry: Cluster analysis using networks. In: Digital Scholarship in the Humanities 32 (1), S. 50–64. DOI: 10.1093/llc/fqv061.

Ivanovic, Christine (2017): Die Vernetzung des Textes: Im Möglichkeitsraum digitaler Literaturanalyse. In: Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften. DOI: 10.17175/2016_010.

Thomalla, Erika; Spoerhase, Carlos; Martus, Steffen (2019): Werke in Relationen. Netzwerktheoretische Ansätze in der Literaturwissenschaft. Vorwort. In: Zeitschrift für Germanistik 29 (1), S. 7–23. Online verfügbar unter https://pub.uni-bielefeld.de/record/2943601.   

Trilcke, Peer; Fischer, Frank; Göbel, Mathias; Kampkaspar, Dario: Theatre Plays as ,Small Worlds‘? Network Data on the History and Typology of German Drama, 1730–1930. In: Digital Humanities 2016: Conference Abstracts. Jagiellonian University & Pedagogical University, Kraków, S. 385–387. Online verfügbar unter https://dh2016.adho.org/abstracts/360,    zuletzt geprüft am 11.11.2021.

Weitin, Thomas (2021): Digitale Literaturgeschichte. Eine Versuchsreihe mit sieben Experimenten. 1. Aufl. 2021. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg (Digitale Literaturwissenschaft). Online verfügbar unter http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-epflicht-1967367.   

Georg Büchner. Lektüren / Dr. des. Na Schädlich

Georg Büchner (1813-1837) gilt nach der literarhistorischen Periodisierung als einer der bedeutendsten Autoren des Vormärz. Darüber hinaus besitzt sein schmales aber facettenreiches Oeuvre jedoch eine solch bestechende Wirkkraft, die über die Epoche der Moderne auch noch weiterhin das literarische (Selbst-)Bewusstsein unserer Gegenwart begleitet bzw. u.a. mitträgt. Davon zeugt, um nur ein Beispiel zu nennen, die seit 70 Jahren bestehende, von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gepflegte Tradition der Büchnerpreisrede.
Im Seminar wollen wir der eben angedeuteten literarischen Kraft von Büchners Werk nachgehen. Ziel ist es, durch intensive Lektüre und Diskussion sowie mithilfe von ausgewählter Forschungsliteratur einen eigenen Zugang dazu zu erschließen. Dabei nehmen wir sowohl die kulturellen Problemkomplexe und Themenfelder, auf die die Texte auf reflexive Weise Bezug nehmen, als auch deren poetische Verfahrensweisen in den Blick.

Gearbeitet wird mit der folgenden Ausgabe, die ich zu erwerben empfehle:
Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe, hg. von Ariane Martin, Reclam 2012, 821 Seiten (9,95 Euro). ISBN 9783150108208
Ein sprechender Vorteil dieser Ausgabe besteht in ihrem umfangreichen Stellenkommentar zu den Werken.

Für das Selbststudium außerhalb der Seminarstunden ist das sorgfältig anleitende Büchner-Handbuch geradezu unverzichtbar:
Roland Borgards/Harald Neumeyer (Hgg.), Büchner Handbuch. Leben - Werk - Wirkung, Metzler 2015.

Die frühe Pop- und Undergroundliteratur in Deutschland / Leon Bertz

Die Anfänge einer sogenannten „Pop-" und „Undergroundliteratur" in Deutschland werden in der Regel auf die späten 1960er Jahre datiert. Im Seminar wollen wir diese Phase sowie die darauffolgende Entwicklung in den 1970ern genauer in den Blick nehmen und versuchen, Schreibweisen, Themen, Motive, Formen sowie Intentionen der entsprechenden Texte zu beschreiben. Dabei widmen wir uns insbesondere solchen Arbeiten, die sich auszeichnen durch Selbst- und Fremdpositionierungen ihrer Autoren als widerständige Nonkonformisten innerhalb einer literarischen Hochkultur. Der Fokus des Seminars liegt also auf den subversiven Anteilen des frühen "Pops" und richtet bestimmte Fragen an die zu untersuchenden Texte: Wie verbinden sich Poetik und Subkultur (Hubert Fichte)? Auf welche Weise artikuliert sich literarisches Außenseitertum (Jörg Fauser, Jürgen Ploog)? Was kann der Text als Kunstwerk, Archiv oder utopisch-revolutionärer Gegenstand leisten? (R. D. Brinkmann)

Diese Richtung ermöglicht auch den Kurzschluss zwischen „Pop" und „Underground", deren häufige Gleichstellung auf jene subversiven Gemeinsamkeiten zurückgreift, insbesondere aber thematische Unterschiede gerne außer Acht lässt. Als Phänomen innerhalb der deutschen Literatur wird der beschriebene Komplex besonders interessant durch seine behauptete Traditionslosigkeit bei gleichzeitig angestrengt vorgetragenem Anschluss an die Formen US-amerikanischer Beat-Literatur. Damit betrachten wir in diesem Seminar eine ungleichmäßige Strömung, die als vermeintlich kulturelles Importprodukt avantgardistische Tendenzen wiederentdeckt und einer Form des Schreibens den Weg zu bahnen versucht, die sich zwischen spielerischer Provokation und tiefernstem Anliegen selbst nicht eindeutig zu entscheiden weiß.

Literatur und Kindheit / Dr. Robert Buch

Der französische Kulturhistoriker Philippe Ariès verortet die ›Entdeckung der Kindheit‹ in der Frühen Neuzeit. Sie wird von da an als Lebensalter sui generis verstanden und nicht mehr nur als Übergang zum Erwachsensein. Ariès entwickelt seine These anhand der sich wandelnden Ikonographie des Kindes sowie in Hinblick auf das philosophische und pädagogische Interesse, das dem Kind ab dem 17. Jahrhundert verstärkt zuteil wird. In den Mittelpunkt literarischer Werke treten Kinder erst um 1800.

Die literarische Arbeit am Bild der Kindheit im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert ist Thema dieses Seminars. Welche Topoi und narrativen Muster bemühen literarische Texte, um Kindheit und Kinder darzustellen? Welche erzählerischen Möglichkeiten bietet das Thema Kindheit der Literatur? Inwiefern wird Kindheit kritisch, inwiefern wird sie affirmativ eingesetzt? Der Topos Kindheit ist bereits vor seiner Entdeckung durch Theologen und Pädagogen utopisch aufgeladen -- Kindheit als verlorenes Paradies -- aber der Schritt, umgekehrt im Kind die Verkörperung ungebändigter und bedrohlicher Wildheit -- das ›böse‹ Kind -- zu sehen, ist nicht weit. Auf der einen Seite also die Unschuld und Unbefangenheit des kindlichen Blickes, auf der anderen Seite die vermeintliche Amoralität und Widerspenstigkeit kindlicher Subjekte. Kindheit kann als Gegenbild zu den Zwangsmechanismen und Formatierungen moderner Zivilisation entworfen werden, als Inbegriff von Alterität und Devianz, aber auch als Paradigma der emanzipativen Versprechen der Moderne.

Wir nähern uns dem Thema vor allem über Erzählungen, Romane und autobiographische Texte. Zu den möglichen Autorinnen und Autoren, die wir behandeln wollen, gehören Adalbert Stifter, Gottfried Keller, Ellen Key, Marcel Proust, Walter Benjamin, Christine Lavant, Natalie Sarraute und Ingeborg Bachmann.

Bedingung für die Teilnahme ist die Bereitschaft zu regelmäßiger und aktiver Mitarbeit, die die sorgfältige Lektüre der Texte voraussetzt, sowie die Übernahme einer Sitzungsmoderation.

Zur Einführung: Philippe Ariès, Geschichte der Kindheit, München: Hanser 1975.

Forschungskolloquium Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft / Prof. Dr. Daniel Weidner

Das Forschungskolloquium dient der Vorbereitung und Begleitung Ihrer Masterarbeit: Sie entwickeln ihre thematischen Interessen, erarbeiten ihre Fragestellung und die Konzeption Ihrer Arbeit und stellen das jeweils zur Diskussion. Je nach Wunsch und Interesse der Teilnehmenden beschäftigen wir uns auch mit bestimmten Theoriezusammenhängen und allgemeinen Fragen des wissenschaftlichen Schreibens wie der Nutzung von Forschungsltieratur, der Disposition, Zitateinbettung etc.

Sommersemester 2022

Vorlesung: Literatur und das Nachleben der Religion / Prof. Dr. Daniel Weidner

Literatur und Religion haben ein enges Verhältnis. Viele literarische Formen und Gattungen haben einmal religiöse Ursprünge gehabt, Literatur ist lange in religiösen Kontexten gepflegt worden, bis in die Gegenwart hinein verhandeln literarische Texte oft religiöse Fragen und Probleme, manchmal übernimmt Literatur auch Funktionen der Religion. All diese Momente prägen auch in modernen Gesellschaften, in denen Religion zumindest auf den ersten Blick keine zentrale Funktion mehr hat, unser Verständnis von Literatur – sie zu kennen ist daher wichtig, um Literatur im umfassenden Sinne zu verstehen. Die Vorlesung entwirft an ausgewählten Beispielen aus der langen europäischen Literaturgeschichte einen Blick auf einige dieser Konstellationen: Wie Hymne und Tragödie aus dem religiösen Ritual hervorgehen, wie Literatur mit dem Mythos umgeht und in mythischen Elementen Religiöses auch in der ‚entzauberten‘ Welt fortlebt, welche Rolle Heilige Texte für die Literatur spielen und wie sich an ihnen so etwas wie Hermeneutik ausbildet, wie Literatur sich von Passion, Opfer, Mystik faszinieren lässt, wie Autobiographien die Frage der Seele und Romane das Thema der Providenz verhandeln, wie religiöses Theater die Welt auf die Bühne bringt, wie verschiedene Religionen jeweils neue Literaturformen hervorbringen und wie religiöse Spannungen und Konflikte literarisch ausgetragen werden.

Zur Einführung: Daniel Weidner (Hg.): Handbuch Literatur und Religion, Metzler 2016 (online)

Werkstatt Publizistik Weimarer Republik / Dr. Claudia Hein und Prof. Dr. Daniel Weidner

Die Weimarer Republik ist die große Zeit der Publizistik. Walter Benjamin, Gottfried Benn, Alfred Döblin, Hugo von Hofmannsthal, Irmgard Keun, Thomas und Heinrich Mann, Robert Musil, Josef Roth, Ernst Toller, Franz Werfel, Arnold Zweig etc. – all diese wichtigen Autoren der Zeit veröffentlichten in Zeitschriften. »Die literarische Welt«, »Die Neue Rundschau«, »Das Tagebuch« oder »Die Weltbühne« – so die sprechenden Namen einiger dieser berühmt gewordenen Publikationsorgane, die literarisch-kulturell, aber ebenso politisch orientiert waren. Die Zeitschriftenlandschaft ist weit, die Themen sind vielfältig, dabei noch wenig erforscht. Geschrieben wird über Literatur, den Kunstmarkt, Theaterskandale, das neue Medium des Films wie über die Jugendbewegung oder über Genderfragen; »Unsere armen Wörter« kommen gleichermaßen zur Sprache wie die »Geschlechtskälte der Frau«, diskutiert wird über das männliche Pendant der Maitresse oder über die Frage, ob »ein Museum eine Tür haben« soll.
Wir wollen uns im Seminar praktisch mit der Publizistik der Weimarer Republik befassen und dabei alternative und für die Literaturwissenschaft ungewohnte Arbeitsformen ausprobieren. Die Teilnehmer:innen werden gemeinsam eine digitale Anthologie publizistischer Texte erarbeiten. Mit dem Format eines Design-Sprints entwirft das Team eine Konzeption und entwickelt einen Prototyp, der dann – vermutlich? – Grundlage eines Blogs wird. Es geht im Seminar darum, gemeinsam und in intensiver Teamarbeit wirklich an und mit dem Material zu arbeiten und ein reales Produkt zu erstellen.

Schreiborte – Writing Places / Dr. Jana Mende

Das Seminar nimmt den Prozess und Ort des literarischen Schreibens in den Fokus: Wo entstanden und entstehen eigentlich literarische Texte? Wie beeinflusst die äußere Umgebung den Schreibprozess, die Schreibenden und die Werke: der Schreibtisch von Kafka, der Küchentisch von Agatha Christie, Marcel Prousts Bett, das Arbeitszimmer von Friederike Mayröcker, Goethes Gartenhaus, Thomas Manns Häuser in Werk und Leben, Berlin, Paris, London, oder Istanbul als Literatur- und Schreiborte. Schreiborte beginnen im privaten Umfeld des eigenen Zimmers, der Wohnung, im Haus und Garten und gehen über in öffentliche Räume des Alltags, im Café, auf der Straße, in der Stadt.

Wir besuchen Friederike Mayröcker in ihrer Wohnung, gehen mit Lenka Reinerová in das Traumcafé einer Pragerin, spazieren durch Johann Friedrich Reichardts Garten, der Herberge der Romantik, in Halle und erkunden verschiedene Städte als Schreiborte der Literatur(geschichte).

Dazu werden Sie verschiedene Theorien der Literaturgeographie und Literaturtopographie kennenlernen und verschiedene Methoden zur Darstellung und Analyse von Schreiborten wie Cartopology, narrative Mapping oder Stadterzählungen/Urbanarrative verwenden, um Texte der Autor*innen und Ortsbezüge zu analysieren. Diese Analysen werden wir in Blogeinträgen dokumentieren. Wir werden uns auch damit beschäftigen, wer zu welcher Zeit welche Räume zur Verfügung hatte und wie sich diese Beschränkungen auf die Literatur auswirken.

Unser Material besteht aus Texten, Textauszügen, Fotographien der Schreibtische, Arbeitszimmer, Häuser, Karten der Schreiborte, der Städte und Landschaften, Filmen.

Das Seminarprogramm umfasst eine Miniexkursion in Reichardts Garten, der ‘Herberge der Romantik’  in Halle, der u.a. Teile der Sammlung Des Knaben Wunderhorn entstanden sind (voraussichtlich im Mai).

Zum Draufklicken:

Literaturatlas: Piatti, Barbara: Interaktive Visualisierungs- und Analyseinstrumente für die Geographie der Literatur. Online verfügbar unter http://www.literaturatlas.ethz.ch/project/index.html   . (Video zur Projektdarstellung Atlas europäischer Literatur).

Methoden: Writingurbanplaces WG3: Repository of Methods. Online verfügbar unter https://padlet.com/repositoryofmethods/methods   , zuletzt geprüft am 07.03.2022.

Literatur:

Woolf, Virginia: A Room of One’s Own. https://gutenberg.ca/ebooks/woolfv-aroomofonesown/woolfv-aroomofonesown-00-h.html    (zuletzt abgerufen am 7.3.2022) (Bitte bis zur 3. Sitzung lesen)

Weitere Literatur wird im Seminar bekanntgegeben und zur Verfügung gestellt.

Einführung in die deutsch-jüdische Literatur / Prof. Dr. Daniel Weidner

Die Frage nach der ‚Identität‘ und ‚Zugehörigkeiten‘ von Minderheiten ist nicht neu in der Literatur. Im deutschen Sprachraum lässt sie sich vor allem an jüdischen AutorInnen untersuchen, die seit der Emanzipation am Ende des 18. Jahrhunderts auf Deutsch schreiben, aber als Juden gelesen werden. Ihre Texte drücken die schwierige und prekäre Stellung der Juden in Deutschland während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts aus, reflektieren über komplexe und oft widersprüchliche kulturelle Zugehörigkeiten und Subjektkonzepte und zeigen , wie sich komplexe Aushandlungen von Selbst- und Fremdzuschreibungen gerade in der literarischen Form vollziehen.

Anhand von fünf Prosatexten bzw. Auszügen führt das Seminar in die deutsch-jüdische Literatur vom späten 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein. Die Arbeit im Seminar besteht vor allem aus gemeinsamer Textarbeit, die von Gruppen vorbereitet und angeleitet wird. Mitarbeit in einer der fünf Vorbereitungsgruppen ist obligatorisch.

Texte: Salomon Maimon: Lebensgeschichte, von ihm selbst erzählt (Jüdischer Verlag 2019); Rahel Varnhagen: Briefe und Aufzeichnungen (in Auszügen, Insel 1986); Heinrich Heine: Der Rabbi von Bacherach (Reclam 1983); Karl Emil Franzos: Der Pojaz (Rotbuch Verlag 2005); Joseph Roth: Hiob (Fischer 2005).
Zur Einführung: Hans Otto Horch (Hg.): Handbuch der deutsch-jüdischen Literatur (2016) (online); Hans Schütz: Juden in der deutschen Literatur. Eine deutsch-jüdische Literaturgeschichte im Überblick (Piper 1992).

Kulturgeschichte der Klage / Neela Janssen

„Es wecke die Klage / Den Todten nicht auf, / Das süßeste Glück für die traurende Brust, / Nach der schönen Liebe verschwundener Lust, / Sind der Liebe Schmerzen und Klagen.“ -- So schreibt Friedrich Schiller 1798 in Des Mädchens Klage und wirft bereits in diesen wenigen Zeilen einige Fragen auf, die uns durch das Semester begleiten werden: Was bedeutet es, über Verlorenes zu sprechen? Welche Rolle spielt das Abwesende? Wie wird es in den Texten jeweils literarisch anwesend gemacht? Welche Funktionen erfüllt die Klage, ihre literarische Inszenierung und sprachliche Performance? Welches Potential für Individuum und Gesellschaft steckt in ihr?
Dabei werden wir uns ausgehend von Schiller und Autoren wie Heinrich Heine und Rainer Maria Rilke bis Bertolt Brecht im Verlauf des Seminars auch in weiter entfernte historische Tiefen vorwagen: Mittelalterlicher Minnesang wird uns neben der Elegie ebenso interessieren wie antike Klageweiber, die Totenklage und biblische Lamentation. Die Beschäftigung mit diesen Traditionen soll stets auch den Blick auf das 21. Jahrhundert erhellen: Welche Spuren der Klage finden sich in gegenwärtiger Literatur und Lyrik? Welche Konstellationen von Trauer, Geschlecht und Kulturkritik finden sich in diesen Beispielen wieder? Und wie lassen sich kontemporäre Ausdrucksformen von Schmerz und Verlust, gerade auch in Zeiten des Krieges, in diese europäische Kulturgeschichte der Klage einordnen?

Kafka & Co. / Dr. Robert Buch

Franz Kafka läßt sich zwar in die literaturhistorischen Koordinaten seiner Zeit eintragen, gilt aber gleichwohl als singuläre Erscheinung. Zu den möglichen Richtungen, die sich in Kafkas Werk finden, zählen der Symbolismus und die Dekadenz des Fin de siècle, ein an Bewussteinsprozessen und Wahrnehmung interessiertes, impressionistisches Schreiben in der frühen Prosa, später dominieren expressionistische Themen und Verfahren sowie eine neusachliche Faszination für Technik und bürokratische Rationalität. Trotz dieser vielfältigen Bezüge besteht, wie gesagt, eine Tendenz, Kafka als Solitär, als einziges Exemplar eines Schreibens sui generis zu betrachten. Dieser vermeintlichen Ausnahmestellung soll hier aus einer anderen Richtung entgegengearbeitet werden. Denn ›Kafka‹, der Name und das Werk, stellt ein Paradigma für das Verständnis moderner und spätmoderner Literatur überhaupt dar, dessen Charakteristika in zahlreichen Ausprägungen zu finden sind. Der Kurs stellt sich die Aufgabe, dieses Paradigma, seine Abwandlungen und Anverwandlungen, näher zu bestimmen. Dabei wechseln wir zwischen Lektüren einiger einschlägiger Erzählungen Kafkas und seiner Kurzprosa und derjenigen einer Reihe von Vorwegnahmen, Parallelen und Reprisen. Zu den möglichen Vorläufern gehören die Russen Nicolai Gogol und Anton Čechov der dänische Schriftsteller Søren Kierkegaard und der Amerikaner Herman Melville; zu den Zeitgenossen zählen beispielsweise der Schweizer Robert Walser, der Chinese Lu Xun oder der Portugiese Fernando Pessoa. Hier wie auch bei den nachfolgenden ›Erben‹ Kafkas soll es jedoch keineswegs, das sei ausdrücklich betont, um belegbare Einflüsse oder Filiationen gehen, sondern um eine Familienähnlichkeit, die mit den Schlagwörtern kafkaesk oder absurd nur bedingt erfasst wird. Zu den anderen möglichen ›Verwandten‹ und Nachfahren Kafkas sind, um nur einige prominente Beispiele zu nennen, der Ire Samuel Beckett, der Argentinier Jorge Luis Borges, die Österreicherin Ilse Aichinger, der südafrikanische Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee sowie die US-amerikanerische Autorin Lydia Davis zu rechnen. Aus Zeitgründen werden wir uns auf eine begrenzte Auswahl aus dieser vielköpfigen ›Company‹ beschränken.

Gender-Fluiditäten / Dr. Claudia Hein

»Brauchen wir wirklich ein ›wahres‹ Geschlecht? Mit einer Beharrlichkeit, die an Starrsinn grenzt, haben die Gesellschaften des Abendlandes dies bejaht.« An dieser Diagnose, die Michel Foucault vor mehr als vierzig Jahren stellte, scheint sich bis heute nicht viel geändert zu haben. Die Annahme einer grundlegend binären Struktur von biologischem Geschlecht wie sozio-kulturellem Gender, mit der dazugehörigen Notwendigkeit, sich einer der beiden Seiten klar zuzuordnen, ist im Mainstream der westlichen Kultur nach wie vor fest verankert.
Wir wollen im Seminar dementgegen literarische und theoretische Texte diskutieren, die Möglichkeiten ausloten, Sex, Gender und Begehren anders zu denken. Texte, die Räume eröffnen, in denen Bewegungen zwischen den Dichotomien des Weiblichen und Männlichen denkbar werden (crossdressing, sexchange, transgender), in denen sich ein Jenseits des Binären abzeichnet (intersex, nichtbinäre Transidentität, genderqueer) oder in denen der Versuch unternommen wird, geschlechtliche Codierung gänzlich zu verabschieden (postgender).
Zum einen soll es darum gehen, Einblicke in die Geschichte der transgender- und queerstudies zu gewinnen, die selbst aus Konflikten und Synergien von Feminismus, lesbian-, gaystudies entstanden sind. Einen Fokus wollen wir dabei auf nichtbinäre Theoretiker:innen legen – wie Kate Bornstein (»Gender Outlaw«, 1994), Leslie Feinberg (»Transgender Warriors«, 1996) und Judith Butler (»Undoing Gender«, 2004), die mit Ihren oft sehr persönlichen Texten ein ganz eigenes Vokabular entworfen haben.
Zum anderen wollen wir uns genderfluide Weltentwürfe ansehen, wie sie die Literatur des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Virginia Woolfs »Orlando« (1928) umkreist eine Figur, die durch die Jahrhunderte wandert, die erst Mann, dann Frau ist. Der Text ist höchst parodistisch, zugleich eine Hommage an Woolfs Geliebte Vita Sackville-West, in Rosi Braidottis Worten, eine der größten postgender Liebesgeschichten. Jackie Kays »The Trumpet« (1998) erzählt die Geschichte eines Jazztrompeters, dessen männliche Identität erst nach seinem Tod durch den weiblichen Körper seiner Leiche in Frage gestellt wird, was die Rollenbilder aller ihn umgebenden Personen ins Wanken bringt. Radikal performativ gedachte Identität trifft hier auf gleichermaßen radikal vorhandene Körperlichkeit. Abschließend wollen wir einen Blick in den für Transgender-Fragen äußerst ergiebigen Bereich der Science-Fiction werfen. Octavia Butler entwirft in Ihrem Roman »Imago« (1989) eine aus drei Geschlechtern bestehende außerirdische Spezies, die sich in einem Genhandel mit den Menschen verbindet. Queerness wird hier zur Essenz des Daseins; das Begehren des Anderen schafft erst die jeweilige fluide Form der Körper. Der Text wirft die Frage nach der menschlichen Identität selbst auf. Wie lässt sich ein von Gender und Sex losgelöstes Begehren denken? Was heißt es, wirklich in ein Jenseits von abgegrenzten Identitäten einzutreten, in einen Bereich queerer ›Hybriditätspolitik‹?

Zeitgeschichte aufschreiben. Literatur als Chronik / Prof. Dr. Daniel Weidner

AutorInnen der Gegenwartsliteratur bezeichnen sich oft als „ChronistInnen“, die – ähnlich den mittelalterlichen Chronisten – verzeichnen, was um sie herum geschieht. Unter Rückgriff auf diaristische und dokumentarische Schreibweisen suchen sie nach alternativen Darstellungsformen, welche die Welt und vor allem die Geschichte nicht einfach fiktional ‚nacherfinden‘, sondern anders erfahrbar machen. Da wird eher aufgezählt als erzählt, oft in Verbindung mit anderen Medien wie der Photographie, oft im Bewusstsein einer Moderne, in der die Literatur längst nicht mehr Leitmedium ist, sondern mit dem Kino, der Zeitung, dem Netz um Aufmerksamkeit konkurriert. Wie kann man eigentlich noch schreiben (und was ist Geschichte) in einer sich rasend verändernden Gegenwart?
Das Seminar diskutiert anhand von fiktionalen und theoretischen Texten des 20. Jahrhunderts die Grundlinien dieser Schreibweise, die in der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit zunächst stark mit der Auseinandersetzung mit der Nachgeschichte des Nationalsozialismus verbunden ist, später aber auch zu einer wichtigen Reflexionsinstanz der Gegenwärtigkeit von Literatur wird. Ausgehend von allgemeinen Überlegungen über das Verhältnis von Literatur und Geschichte lesen wir Texte u.a. von Alfred Döblin, Walter Benjamin, Irmgard Keun, Rudolf Brunngraber, Alexander Kluge, Uwe Johnson, Christa Wolf, Walter Kempowski, Rainald Goetz, Kathrin Röggla, Annie Ernaux, Svetlana Alexijewitch.

Auschwitz in der europäischen Literatur / Marcel Matthies

Der Ortsname Auschwitz (Oświęcim) ist nach 1945 allmählich zur Metapher für einen Geschichtsbruch geworden. In den literarischen Texten über das Katastrophengeschehen verdichtet sich der Verlust übergeordneter Sinnzusammenhänge wie unter einem Brennglas. Was lässt sich über den kollektiven Vernichtungsvorgang erzählen? Wie wird der allgegenwärtige Tod literarisch verarbeitet? Welcher Sprache bedient sich die literarische Darstellung des Menschen in der Barbarei? Mit welchen Gestaltungsmitteln lässt sich das Erleben der Katastrophe zum Ausdruck bringen?

Diese und andere Fragen werden wir gemeinsam möglichst dicht am jeweiligen Text diskutieren. Was in den Texten wie vermittelt wird, steht als Schlüsselfrage im Zentrum der Veranstaltung. Zur ersten Sitzung am 8. April sind zwei kurze Textauszüge von Grete Salus und Albert Ménaché über die Ankunft in Auschwitz zu lesen, die im Stud.IP zugänglich sein werden. Weiterhin werden wir Texte von Jean Améry, Tadeusz Borowski, Imre Kertész, Ruth Klüger, Primo Levi, Liana Millu und Peter Weiss lesen. Auch ein Filmabend mit Ausschnitten aus Claude Lanzmanns »Shoah« ist geplant. Ein Besuch der von Professor Stephan Pabst angebotenen Vorlesung zur Lagerliteratur (dienstags 12-14 Uhr) empfiehlt sich, ist aber keine zwingende Voraussetzung. Die regelmäßige Teilnahme, die Lektüre der Texte, die Übernahme eines kurzen Impulsreferats und die Anschaffung der Taschenbuchausgabe von Primo Levis »Ist das ein Mensch?« (dtv 11€) werden indessen vorausgesetzt.

Räuber und Sozialrebellen in der Literatur / PD. Dr. Peter Waldmann

Die große Epoche der berüchtigten Räuberbanden in Mitteleuropa fällt in die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts. Diese Räuberbanden der Neuzeit sind mit den legendären Namen ihrer Hauptmänner und Anführer verbunden, als da wären: Schinderhannes, Nickel List, Lips Tullian, Krummfingers-Balthasar oder Picard, der die gefürchtete Niederländische Bande führte und seine Raubzüge planmäßig organisierte. Mit dem 19. Jahrhundert kam das Bandenwesen, das eine eigene Sprache, das Rotwelsch, besaß, zu einem vorläufigen Ende. Mit der Entwicklung zum modernen Staat wurde auch der Polizeiapparat effizienter. Staatlichen Institutionen gelang es immer besser, auch abgelegene Territorien zu kontrollieren und zu überwachen. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Räuber, die es im klassischen Sinne nicht mehr gab, zu einem weitverbreiteten Sujet innerhalb der Literatur. Es war auch die Literatur, die aus Räubern bewunderte Sozialrebellen machte. Die Menschen, die in den stählernen Gehäusen der Rationalität moderner Staaten existierten, identifizierten sich als Leser von Literatur mit realen wie imaginären Räubern und Verbrechern, die fälschlicherweise als Sozialrebellen verstanden wurden. So wurde z.B. Robin Hood wie auch die Mafia mit all ihren Morden zum Mythos und Sinnbild eines befreiten Lebens.

In diesem Seminar werden folgende Autoren behandelt: Schiller, Goethe, Brüder Grimm, Kleist, E.T.A. Hoffmann, Puschkin, Karl May, Geoffrey Trease, Zuckmayer, Babel, Mario Puzo, Fritz Heymann, Michael Balin, Boris Sawinkow, Hobsbawn, Otfried Preußler, Agamben und Bernd Roeck.

Aus dem Innern der Unruhe. Psychologisches Erzählen in der Moderne / Dr. Robert Buch

Der Schauplatz modernen Erzählens, so könnte eine These lauten, ist das Bewusstsein – dieses so umfassende wie allgegenwärtige und doch so schwer beschreibbare Medium unseres Weltzugangs. Die Beschreibbarkeit von Bewusstsein war das große Thema der um die Jahrhundertwende entstehenden Phänomenologie. Mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen einer solchen Beschreibung beschäftigen sich etwa zur selben Zeit eine Reihe von Werken, die zu Klassikern der Moderne avancieren sollten. Ihr Interesse an der Darstellung von Bewusstseins- und Wahrnehmungsprozessen überschreitet und entgrenzt die Koordinaten romanhaften Erzählens. Radikaler wird diese Bewegung noch dadurch, dass die Literatur, anders als phänomenologische Beschreibungsversuche, mit dem Bewusstsein auch das Unbewusste in den Blick nimmt, das etwa zur gleichen Zeit von der neuen Wissenschaft der Psychoanalyse erkundet wird. Nicht zufällig bildet das Syndrom der inneren Unruhe den gemeinsamen Nenner einer Vielzahl von Romanen und Erzählungen, von denen wir eine kleine Auswahl in diesem Kurs lesen und diskutieren werden, darunter beispielsweise Robert Musils Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906), Marcel Prousts Eine Liebe von Swann (1913), Arthur Schnitzlers »Fräulein Else« (1924), Franz Kafkas »Der Bau« (1928), William Faulkners As I Lay Dying (1930) und Irmgard Keuns Das kunstseidene Mächen (1932).

Zur Einführung:

++Lydia Ginzburg, On Psychological Prose. Princeton, NJ: Princeton UP, 1991.

++Dorrit Cohn, Transparent Minds. Narrative Modes for Presenting Consciousness in Fiction. Princeton, NJ: Princeton UP, 1978.

Kriegsdarstellungen in der Literatur des 20. Jahrhunderts / Kevin Drews

Zur Literatur des 20. Jahrhunderts gehört unweigerlich die Auseinandersetzung mit dem Krieg und seiner literarischen Darstellbarkeit. Das Spektrum literarischer Bearbeitungen von Kriegserlebnissen (‚Fronterlebnis‘) reicht von eher konventionell gestalteten Berichterstattungen und Dokumentationen bis hin zu unterschiedlichen literarischen Experimenten, die den neuartigen Formen der Kriegsführung gerecht zu werden versuchen. Denn der Unterschied zu literarischen Kriegsdarstellungen aus früheren Jahrhunderten besteht sowohl in den neuen Kriegstechniken (‚industrialisierter Krieg‘, ‚Materialschlachten‘, ‚Massenmobilisierung‘) als auch in den veränderten medialen Aufzeichnungsmöglichkeiten, auf die auch die Literatur reagiert. Die Literatur ist mit veränderten Wahrnehmungsvoraussetzungen konfrontiert und wird dadurch zur Suche nach neuen Beschreibungs- und Darstellungsweisen herausgefordert. Mit dem Blick auf die literarische Verarbeitung insbesondere der beiden Weltkriege rückt vor allem die Frage in den Mittelpunkt, welche ästhetischen Strategien gewählt werden, um den Krieg darstellbar, erzählbar, erfahrbar und deutbar zu machen. Welche Motive, Bilder, Ausdrucksformen, Schreibverfahren werden hierzu eingesetzt? Diese Fragen sollen im Seminar anhand unterschiedlicher literarischer Kriegsdarstellungen aus dem 20. Jahrhundert diskutiert werden.Dabei widmet sich das Seminar den unterschiedlichen intellektuellen und literarischen Wahrnehmungen und Deutungen des Krieges in verschiedenen Gattungen (Roman, Kriegslyrik, Reden, ‚Weltanschauungsessayistik‘). Außerdem beschäftigen wir uns auch mit Phänomenen wie Kriegspropaganda und Kriegskritik, Ästhetisierung von Gewalt, Emotionalisierungsstrategien und Affektpolitiken, Erinnerungsarbeit und Erfahrungsverarbeitung. Im Seminar werden Texte u.a. von Ernst Jünger, Edlef Köppen, Jaroslav Hašek, John Dos Passos, Alexander Kluge, Heiner Müller, Elfriede Jelinek gelesen. Ziel des Seminars ist es, einen Überblick über die Spannbreite des literarischen Umgangs mit dem Krieg im 20. Jahrhundert zu verschaffen. Das Seminar setzt die Bereitschaft zur Lektüre unterschiedlicher literarischer Texte voraus. Für die einzelnen Sitzungen sollen Expertengruppen gebildet werden, die sich vertiefend mit dem jeweiligen Gegenstand auseinandersetzen, um so die Sitzungen moderieren zu können.

Literatur zur Einführung:

  • Thomas Anz/Joseph Vogl (Hg.): Die Dichter und der Krieg: Deutsche Lyrik 1914-1918. Stuttgart 2014.
  • Matthias Schöning: Versprengte Gemeinschaft. Kriegsroman und intellektuelle Mobilmachung in Deutschland 1914–33. Göttingen 2009.

Literarische Vergleiche digital modellieren / Dr. Jana Mende

Der digitale Vergleich zwischen verschiedenen Autor*innen, Texten, Literaturen, Sprachen, Motiven, Konzepten usw. ist das Kerngeschäft der Vergleichenden Literaturwissenschaft. Wie dieser Vergleich dabei vonstattengeht, bleibt oft im Dunkeln - im Kopf der einzelnen Literaturwissenschaftlerin verborgen - sichtbar wird nur das Ergebnis der Analyse.

Digitale Methoden können Vergleiche von Texten und Korpora unterstützen und visualisieren. Dazu muss aber die Arbeit im Kopf - die Suche nach Kriterien und Kategorien, das Tertium Comparationis - explizit gemacht werden, damit sie in das Modell der digitalen Visualisierung aufgenommen werden kann. Aus diesen Schritten besteht die gemeinsame Arbeit im Seminar: Zunächst werden wir gemeinsam erarbeiten, was wir tun, wenn wir literarische Texte vergleichen. Ausgehend davon werden wir verschiedene Vergleichskategorien entwickeln, die wir mit digitalen Tools untersuchen können. Wir werden Einzeltexte und größere Textkorpora sowie andere Medien in Bezug auf verschiedene Kategorien wie Sprachgebrauch, Epochenzugehörigkeit, Themen und Gender vergleichen und diese Vergleiche digital modellieren (u.a. durch stilometrische Vergleiche, Topic Modeling und manuelle Textannotation). Als Fallbeispiele werden wir Werke der deutschen und englischen Literatur der Moderne verwenden, die komplexe Textvergleiche erlauben. Im Seminar erlernen wir den routinierten Umgang mit verschiedenen, anspruchsvollen digitalen Tools, Grundlagen und Theorie der vergleichenden Textanalyse und Visualisierung der Analyseergebnisse.

Vorkenntnisse: Es sind keine Vorkenntnisse zur Verwendung digitaler Methoden notwendig, eine generelle Bereitschaft zum Umgang mit digitalen Tools und Programmen wird vorausgesetzt, bitte bringen Sie einen Laptop mit und nehmen Sie regelmäßig und kontinuierlich an den Sitzungen teil (wenn Sie über kein passendes Gerät verfügen, wenden Sie sich bitte an mich).

Zum vorher Anklicken: Digitaler Textvergleich, ein Beispiel: Fortext: Konstellationen bei Goethe und Plenzdorf https://youtu.be/AZI87GOzNJQ    (zuletzt abgerufen am 23.02.2022).

Literatur: Sommers Weltliteratur to go: Orlando von Virginia Woolf: https://www.youtube.com/watch?v=GyQpjEifE_s    (zuletzt abgerufen am 23.02.2022).

Lektüre:  Primärliteratur (bitte bis zur 3. Einheit lesen): Virginia Woolf (1923). Orlando. A Biography, 1928: https://gutenberg.net.au/ebooks02/0200331.txt    (zuletzt abgerufen am 23.02.2022).

deutsche Übersetzung: Virginia Woolf: Orlando. Eine Biographie. Aus dem Englischen übertragen von Karl Lerbs, 1929: https://www.projekt-gutenberg.org/woolf/orlando/orlando.html    (zuletzt abgerufen am 23.02.2022).

Sekundärliteratur (Auswahl):

Erlin, Matt; Piper, Andrew; Knox, Douglas; Pentecost, Stephen; Drouillard, Michaela; Powell, Brian; Townson, Cienna (2021): Cultural Capitals: Modeling Minor European Literature. In: Journal of Cultural Analytics 6 (1), S. 40-73. DOI: 10.22148/001c.21182.

Presner, Todd (2011): Comparative Literature in the Age of Digital Humanities: On Possible Futures for a Discipline. In: Ali Behdad und Dominic Thomas (Hg.): A Companion to Comparative Literature. Hoboken: John Wiley, S. 193–207.

Forschungskolloquium / Prof. Dr. Daniel Weidner

Das Forschungskolloquium dient der Vorbereitung und Begleitung der Masterarbeit: Die TeilnehmerInnen entwickeln ihre thematischen Interessen, ihre Fragestellung und die Konzeption ihrer Arbeit und stellen das jeweils zur Diskussion. Darüber hinaus dient das Kolloquium zur Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen der Forschung, die Auswahl richtet sich hier ebenfalls nach den Interessen der Teilnehmerinnen. Auch allgemeine Fragen zur Schreib- und Arbeitspraxis sowie zum wissenschaftlichen Selbstverständnis können hier diskutiert werden – in diesem Zusammenhang werden wir auch einige grundlegende Texte über Literaturwissenschaft lesen.

Wintersemester 2021-2022

Einführung in die Komparatistik / Prof. Dr. Daniel Weidner

Die Lehrveranstaltung führt in das Arbeitsgebiet der Komparatistik ein und erarbeitet die fachlichen Grundlagen, die für die eigenständige Arbeit entscheidend sind. Sie stellt wichtige Konzepte, Methoden und typische Fragestellungen vor, macht mit der Geschichte der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft sowie mit den wichtigsten Richtungen des Fachs vertraut und gibt damit auch Anregungen, sich selbständig weiter mit dem Fach zu beschäftigen. Zugleich soll intensiv darüber reflektiert werden, was, wie und wonach man komparatistisch fragen kann bzw. welche komparatistischen Themen, für die man sich interessiert und mit denen man sich schon beschäftigt hat, Potential haben. Das Seminar richtet sich an Studierende im ersten Semester des Masterstudiums (diese sollten es unbedingt belegen), an fortgeschrittene Studierende der Komparatistik, die über ihr eigenes Fach nachdenken wollen und an Interessierte anderer Studiengänge, die wissen wollen, was Komparatistik ist.

Literatur: Rüdiger Zymner, Achim Höller (Hrsg.): Handbuch Komparatistik.Theorien, Arbeitsfelder, Wissenspraxis, Stuttgart 2013. Angelika Corbineau-Hoffman: Einführung in die Komparatistik, Berlin 2013.

Vorlesung:  Literatur im Streit. Kampf, Polemik und Politik in der
literarischen Öffentlicheit / Prof. Dr. Daniel Weidner

Literatur ist nicht immer eine friedliche Angelegenheit. An ihren Anfängen beschäftigt sie sich oft mit Kampf und Krieg; Satire und Polemik waren und sind wichtige literarische Schreibweisen; die Selbstverständigung darüber, was Literatur ist, kann und soll, findet oft in Kontroversen und „Literaturstreits“ statt. Die Vorlesung beschäftigt sich mit dem agonalen Moment der Literatur: mit der Art, wie Literatur Konflikte darstellt, selbst in Konflikten steht oder sie anzettelt – damit auch mit dem Politischen der Literatur, die gerade im Modus des Streits gesellschaftliche Normen und Werte verhandelt. Gerade heute, angesichts einer Krise demokratischer Öffentlichkeit im Zeichen von Bilderflut, fake news, Filterblasen und zunehmender Polarisierung, muss man über die Bedingungen und Formen öffentlicher Debatten und die Rolle der Literatur in diesen nachdenken. Diskutiert werden an exemplarischen Stationen der europäischen Literaturgeschichte u.a. wichtige Texte der klassischen und modernen Kriegsliteratur; Streitschrift, Satire und Karikatur; Theorie und Praxis von Polemik und Kulturkritik; Kontroversen über Sinn und Funktion von Literatur und den Zusammenhang von Literatur, Literaturkritik und Öffentlichkeit; Theorien des Konflikts, des Politischen und der symbolischen Gewalt.

Literatur zur Einführung: Jan Assmann, Dietrich Harth (Hg): Kultur und Konflikt, Frankfurt a.M. 1990. Dirk Rose: Polemische Moderne. Stationeneiner literarischen Kommuniaktionsform vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Göttingen 2020.

Postkoloniale Literatur / Dr. Claudia Hein

»[F]or the problem of the Twentieth Century is the problem of the color-line«, mit dieser weitsichtigen Diagnose beginnt der amerikanische Soziologe W.E.B. Du Bois seine 1903 erschienen Studie »The Souls of Black Folk«, die zu einem wichtigen Referenztext der späteren postcolonial studies werden sollte. Was heißt ›postkolonial‹, was ist postkoloniale Literatur und was macht diese zu einer so entscheidenden Stimme, dass sie als ›die‹ Weltliteratur des 20. und 21. Jahrhunderts angesehen werden kann?

Kolonialismus ist eine der großen Hypotheken der Gegenwart. Seine konkreten Folgen sind die uns bedrängenden Probleme und Herausforderungen wie Migration, Rassismus, Multikulturalismus, aber auch Fragen nach dem Status westlicher Kultur und von Kultur überhaupt. Der Kolonialismus war nicht allein ein militärisches und wirtschaftliches Unternehmen, seine Folgen sind nicht nur historisch, politisch, sozial und ökonomisch, sondern auch kulturell und mental; er hatte (und hat) eine symbolische Dimension, die die westlichen Vorstellungen des ›Anderen‹ bis heute prägt. Postkoloniale Literatur ist eine Auseinandersetzung mit diesen Hypotheken. Auf die hegemonialen, hierarchisierenden und stereotypisierenden Effekte des kolonialistischen Diskurses antwortet postkoloniale Literatur mit Strategien der Ambiguisierung, der Subversion und der Kontrafaktur, um nur einige zu nennen.

Über den Fokus der Ambivalenz wollen wir uns im Seminar mit postkolonialen literarischen Texten in ihrer historischen und kulturellen Diversität und Bandbreite beschäftigen, wobei der Schwerpunkt auf dem späteren 20. Jahrhundert liegen wird. Lesen werden wir Joseph Conrads »Heart of Darkness«, Nadine Gordimers »July’s People«, Toni Morrisons »Beloved«, Michelle Cliffs »A Woman Who Plays Trumpet Is Deported«, Isabela Figueiredos »Caderno de Memórias Coloniais« [Roter Staub]. Wir werden uns zudem Konzepten postkolonialer Theorien zuwenden, die Dichotomien und ambige Zwischenräume ins Zentrum stellen (W.E.B. Du Bois’ ›double consciousness‹, Edward Saids ›orientalism‹, Gayatri Spivaks ›can the subaltern speak‹, Homi Bhabhas ›third space‹, Paul Gilroys ›black atlantic‹).

Methoden digitaler Literaturwissenschaft: Einführung und Experimente / Dr. Jana Mende

Digitale Textbearbeitung, -erstellung und -analysen gehören zum (literatur-)wissenschaftlichen Alltag. Die digitalen Geisteswissenschaften beschäftigen sich mit allen Formen digitaler Forschung in unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen wie Archäologie, Geschichtswissenschaften, Computerlinguistik oder Einzelphilologien. Auch die Literaturwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten ihr Repertoire um digitale oder digital unterstützte Methoden erweitert.

In diesem Seminar werden wir uns zunächst ansehen, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten es zwischen digitalen und nicht-digitalen literaturwissenschaftlichen Methoden gibt. Wir beginnen mit Grundbegriffen der Literaturwissenschaft wie Text, Literatur, Edition und schauen uns an, wie sie sich in einem digitalen Kontext verändern. Fragen dazu sind: Wie unterscheiden sich digitale Texte von gedruckten Texten, welche zusätzlichen Informationen haben Texte in den verschiedenen Formaten, wie funktioniert die digitale Aufbereitung von Texten? Dabei werden wir uns auch einführend mit Dateiformaten und Mark-Up-Sprachen beschäftigen.

Im zweiten Teil analysieren wir gemeinsam literarische Texte mit digitalen Mitteln. Hier fragen wir uns, welchen Mehrwert die digitalen Methoden für literaturwissenschaftliche Fragestellungen haben können. Dazu lernen wir Werkzeuge zur digitalen Textanalyse kennen und experimentieren an unterschiedlichen Textgattungen (Roman, Drama, Erzählung). In diesen Experimenten probieren wir z.B. aus, wie wir die Erzählperspektiven und Figurenkonstellationen analysieren und visualisieren können (z.B. mit dem Programm CATMA oder atlas.ti). Wir erproben unterschiedliche digitale Werkzeuge, analysieren Texte mittels Annotation und vergleichen die Ergebnisse. Schließlich reflektieren wir gemeinsam über den Einsatz dieser Werkzeuge.

"Aufrecht und mit wenig Ausstrahlung". Geschlechterverhältnisse in der Israelischen Literatur / Dr. Tom Kellner

In diesem Seminar werden wir die Darstellung von Geschlecht und Geschlechterrollen in ausgewählten Werken israelischer Prosa, in deutscher Übersetzung, untersuchen. Durch textnahe und vergleichende Lektüren verschiedener literarischer Werke werden wir die Art und Weise diskutieren, in der Geschlecht, Sex und Sexualität die Erzählungen prägen und unsere eigenen Lesarten und Interpretationen beeinflussen. In unserer Untersuchung von Geschlechterdarstellungen in der israelischen Literatur werden wir Werke von Autoren wie Samuel Joseph Agnon, Zeruya Shalev, Amos Oz, Orly Castel-Bloom, Michal Zamir und Dorit Rabinyan lesen.

Unsere Lektüre israelischer Prosa in Hinblick auf Geschlecht und Geschlechterrollen wird auf eine Vielzahl kritischer feministischer Theorien und feministischer Auseinandersetzungen mit Literatur und Lektüre zurückgreifen. Dabei soll ein besonderer Schwerpunkt auf dem amerikanischen Second-Wave-Feminismus liegen, der die feministischen Bewegungen und Diskurse in Israel ab den 1970er Jahren stark beeinflusst hat.

Für eine einführende Lektüre über den Feminismus der zweiten Welle und feministisches Lesen: Audre Lorde, “The Master's Tools Will Never Dismantle the Master's House" [Die Werkzeuge des Herrn werden niemals das Haus des Herrn niederreißen], in Sister Outsider: Essays and Speeches, pp. 110- 114, California: Crossing Press, 1984; Sandra M. Gilbert and Susan Gubar, “The Queen’s Looking Glass: Female Creativity, Male Images of Women, and the Metaphor of Literary Paternity”, in: The Madwoman in the Attic: The Woman Writer and the Nineteenth-Century Literary Imagination, pp. 3-44, New Haven: Yale University Press, 1984.

Das Seminar wird auf Englisch abgehalten, für eine Modulleistung ist eine studentische Präsentation (10-20 Min.) sowie eine Hausarbeit erforderlich.

Identität im Gegenwartsroman / Neela Janssen

„Identitätskämpfe sind Kämpfe um Fiktionen in der Wirklichkeit“, bemerkt Mithu Sanyal im Nachwort ihres 2021 erschienenen Romandebüts Identitti und weist damit auf die regen gesellschaftlichen Debatten hin, die seit einiger Zeit um Fragen von Zugehörigkeit, Selbstbestimmung, (gesellschaftlicher) Inklusion und Exklusion und der sie strukturierenden Machtverhältnisse kreisen.
Im Seminar wollen wir uns diesen Fragen nähern, indem wir zeitgenössische fiktionale Texte dazu befragen, wie Identität in ihnen erzählt und imaginiert wird: Welche Narrative von Zugehörigkeit werden aufgerufen und in welcher Beziehung stehen sie zu Kategorien wie race/class/gender? Wie werden über literarische Figuren Identitäten entworfen und/oder in Frage gestellt? Und in welches Verhältnis lassen sich diese (Erzähl-)Figuren zu ihren Autor:innen setzen?
Ausgehend von Sanyals Identitti werden wir uns im Verlauf des Semesters mit drei bis vier weiteren Romanen beschäftigen, die in den letzten Jahren erschienen sind und sich explizit oder implizit mit den aufgeworfenen Fragen literarisch auseinandersetzen. In den ersten Sitzungen gilt es gemeinsam Perspektiven zu entwickeln, unter denen die einzelnen Romane diskutiert werden können. Die Auswahl der konkreten Titel, mit denen wir uns jeweils über mehrere Wochen auseinandersetzen werden, wird im Verlauf der nächsten Wochen bekannt gegeben. Die Bereitschaft zur gründlichen Lektüre der Romane sowie punktueller Sekundärtexte wird vorausgesetzt, ebenso wie die Bereitschaft, sich aktiv an den Seminardiskussionen zu beteiligen.

Erinnerungskonflikte zwischen Juden und Nicht-Juden in der deutschsprachigen Literatur nach 1945 / Marcel Matthies

In der deutschsprachigen Literatur nach 1945 verdichtet sich der Verlust übergeordneter Sinnzusammenhänge wie unter einem Brennglas. Wie lässt sich über das anonyme Sterben erzählen? Welcher Sprache bedient sich die literarische Darstellung des Massenmords? Wie wird der allgegenwärtige Tod literarisch verarbeitet? „Wo bleibt in der Gaskammer oder im Luftschutzraum noch Raum für die erhabene Gestalt im schwarzen Mantel?“ (H.E. Nossack) Was wird in den zu behandelnden Texten wie und warum erinnert? Diese und andere Fragen wollen wir im Seminar möglichst dicht am jeweiligen Text diskutieren.

Zudem setzt sich die mit den Nürnberger Gesetzen eingeleitete Trennung von Juden und Nicht-Juden auch im Schreiben in der Nachkriegszeit fort. Ursächlich für die auffällige Diskrepanz im Umgang mit der Erinnerung an die Geschehnisse aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs ist der Kampf um die Frage, welche Bedeutung der einst zum Selbstzweck gewordene Massenmord im öffentlichen Bewusstsein nach 1945 einnehmen würde. Während Vertreter der Kahlschlagliteratur das Leid meist noch unterschiedslos verallgemeinern, lösen der Jerusalemer Eichmann-Prozess und die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in den 1960er Jahren auch im Medium der Literatur einen paradigmatischen Bewusstseinswandel aus. Aufgrund von Auschwitz wird deutschsprachige Literatur wieder zum Artikulations- und Reflexionsort jüdischer Erfahrungen. Juden und Nicht-Juden bleiben in Deutschland und Österreich zwar in ihrem jeweiligen Selbstverständnis wegen der Geschichte unwiderruflich voneinander getrennt, jedoch sind sie trotz dieser gegenläufigen Gedächtnisformationen zugleich direkt aufeinander bezogen. In welcher Weise die „negative Symbiose“ (D. Diner) von Deutschen und Juden sowie deren „Erinnerungsdifferenz“ (S. Braese) in literarischen Texten thematisiert und gestaltet ist, steht als Schlüsselfrage im Zentrum der Veranstaltung.

Zur ersten Sitzung ist die im Jahr 2006 in der Zeitung Die Welt veröffentlichte Rede „Dresden ’45 – Tod ist nicht gleich Tod“ von Dan Diner zu lesen.

Romantik und Mehrsprachigkeit: Komparatistische Perspektiven / Dr. Jana Mende

Die Romantik gilt als Zeit des Nationalismus in der Kultur, Literatur und Sprache. Einsprachigkeit als gemeinsame Klammer der Kulturnation, der deutschen Nationalliteratur und deutschen Nationalsprache ist der Standard. Im deutschsprachigen Raum und noch deutlicher in Europa wurde zwar dieses einsprachige Ideal angestrebt, allerdings sah der sprachliche und literarische Alltag vieler Autor*innen anders aus: Mehrsprachigkeit war häufig ein notwendiger und normaler Teil des täglichen Lebens und des literarischen Schaffensprozesses.

Die einzelphilologische Forschung in Germanistik, Romanistik oder Slawistik beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den einzelsprachlichen romantischen Strömungen. Ein komparatistischer Ansatz der Romantikforschung geht den mehrsprachigen Konstellationen innerhalb europäischen Romantiken nach. Diese mehrsprachige Perspektive auf die Romantik jenseits nationalphilologischer Zuschreibungen wollen wir im Seminar einnehmen. Mehrsprachigkeit entstand durch unterschiedliche Sprachen in der Familie oder in der Umgebung (z.B. in mehrsprachigen Städten), Migration in einen anderen Sprachraum oder durch den bewussten Erwerb von Sprachkenntnissen. Diese elitäre Form der Mehrsprachigkeit mit den Bildungssprachen Latein, Griechisch, eventuell noch Französisch ist typisch für den Großteil romantischer Autoren. Im Seminar werden wir zunächst rekonstruieren, in welchen Zusammenhängen Mehrsprachigkeit in der Romantik vorhanden ist. Dabei werden wir uns anhand von Beispielen drei Formen von Mehrsprachigkeit ansehen: wir betrachten individuelle Fälle mehrsprachiger Autor*innen (z.B. Rahel Varnhagen mit Deutsch, Jiddisch, Hebräisch und Französisch), soziale Formen der Mehrsprachigkeit durch Migration (z.B. Heinrich Heine in Frankreich) und textuelle Formen der Mehrsprachigkeit (z.B. die Shakespeare-Übersetzungen von Ludwig Tieck, A.W. Schlegel, Dorothea Tieck und Wolf Heinrich von Baudissin).

Wort und Bild. Literatur und Kunst, ein intermedialer Vergleich / PD Dr. Peter Waldmann

Ganz der Thematik des Pictorial Turn innerhalb der Geisteswissenschaften verpflichtet, möchte ich die Ankündigung zu diesem Seminar mit der Beschreibung eines Bildes der klassischen Moderne beginnen lassen: Der Surrealist Réne Magritte komponierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Gemälde, das nach wie vor als aussagekräftiges Symbol für unsere Lebenserfahrung gelten kann. Magritte entführt uns in einen unwirklichen, surrealen Raum, dessen Wände ganz aus Bildern konstruiert wurde. Der Mensch ist also in der Sicht des Surrealisten in einer neuartigen, ganz aus Bildern bestehende, platonische Höhle gefangen, die keine Öffnungen mehr zu besitzen scheint. Der Blick nach Außen auf eine vermeintliche Wirklichkeit ist durch Bilder verstellt und versperrt. Bilder schieben sich zwischen Menschen und die Realität. Zwar hat Magritte im Vordergrund eine schwere Haubitze aufgestellt, die die revolutionäre Hoffnung ausdrücken soll, dass eines Tages die Mauern der Ideologien gesprengt werden; doch diese revolutionäre Hoffnung scheint gegenwärtig trügerischer zu sein als je zuvor. Die Menschen leben heute, im Gegensatz zu allen vergangenen Zeiten, länger vor den Bildschirmen der Massenkommunikationsmittel als in der realen, analogen Welt. Dem Ansturm der Bilder hält also nichts mehr stand. Die Tatsache dieser Dominanz der postmodernen Bilderwelten macht verständlich, warum sich die ganze Palette der Kulturwissenschaften mit dem Phänomen des Bildes und seiner Rolle beschäftigen und der Pictorial turn in den Geisteswissenschaften notwendig eingeleitet wurde. Im Sinne des Pictorial Turn behandelt dieses Seminar, wie das Bild in der Literatur erscheint und diskutiert wird.

Das Seminar stützt sich auf folgende Autoren: Hans Jonas, Aby Warburg, Erwin Panofsky, Martin Heidegger, Roland Barthes, Vilem Flusser, John Berger, Max Imdahl, Bruno Latour, W.J.T. Mitchell, Johann August Apel, Honoré de Balzac, Prosper Mérimée, Herman Melville, Georges Rodenbach, Oscar Wilde, Andre Breton, Ernst Jünger, Rolf Dieter Brinkmann, W.G. Sebald und Michel Houellebecq.

Zu Vorbereitung auf das Seminar empfehle ich den kanonischen Text: W.J.T. Mitchell: Was ist ein Bild? In: V. Bohn (Hg.): Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik. Frankfurt a. M. 1990: edition suhrkamp.

Rhetorik, Poetik, Ästhetik / Dr. Robert Buch

Der Kurs dient der Einführung in die Grundlagen des literaturwissenschaftlichen Studiums anhand von drei diskursiven Traditionen – Rhetorik, Poetik und Ästhetik –, denen die moderne Literaturwissenschaft und die Theorie der Literatur viele ihrer zentralen Begriffe und Fragen verdanken. So stellt die Poetik des Aristoteles ohne Zweifel das nachhaltigste Paradigma für das Nachdenken über Literatur und das Verständnis literarischer Werke dar. Die antike Rhetorik lehrte die Voraussetzungen für wirkungsvolles Reden und bildete über einen langen Zeitraum, bevor sich Wissen in die modernen Wissenschaften ausdifferenzierte, das Kernstück literarischer Bildung und kommunikativer Kompetenz. Die Ästhetik wandte sich im 18. Jahrhundert als eine der neuen Wissenschaften der Erkenntnis sinnlicher Wahrnehmung und im Besonderen der Frage nach dem Schönen und nach dem ästhetischen Urteil zu.

Wir lesen einige Schlüsseltexte, denen Studierende im Lauf ihres Studiums immer wieder begegnen werden und deren Kenntnis deshalb von unerlässlichem Wert für dieses Studium ist. Zum Programm zählen: die Poetik des Aristoteles, Kritik und Verteidigung der Rhetorik (Plato, Quintilian, Pseudo-Longinus) sowie ausgewählte Beispiele klassischer Redekunst (Gorgias, Thukydides/Perikles, Cicero) und Auszüge aus den Ästhetiken des 18. Jahrhunderts (Baumgarten, Kant, Schiller).

Karl Philipp Moritz / Prof. Dr. Daniel Weidner

Karl Philipp Moritz galt lange als Außenseiter der deutschen Literaturgeschichte und ist bis heute schwer einzuordnen: Romancier und Autobiograph, Philosoph und Autodidakt, ein früher Realist sozialer Unterschichten, aber auch wichtiger Theoretiker einer „zweckfreien“ Kunst, zwischen Spätaufklärung, Empfindsamkeit und Klassik. Das Seminar will die verschiedenen Aspekte von Moritz' Schreiben und Werk in ihrem jeweiligen Kontext behandeln: die biographische Herkunft aus dem Pietismus und die Übertragung pietistischer Praktiken und Konzepte auf Kunst und Philosophie; die beiden sehr heterogenen Romane Anton Reiser und Andreas Hartknopf im Zusammenhang der Entwicklung von Romanform und Autobiographie; die kunstästhetischen Texte vor dem Hintergrund der philosophischen Ästhetik der Aufklärung und der Ästhetik der Kunstperiode; die pädagogischen und populärphilosophischen Texte und insbesondere das Zeitschriftenprojekt Magazin zur Erfahrungsseelenkunde im Kontext der Anthropologie und des Zeitschriftenwesens des späten 18. Jahrhunderts; die Reisebeschreibungen und die mythologischen Texte im Vergleich mit verwandten zeitgenössischen Unternehmungen; eventuell die Wirkungsgeschichte (Jean Paul, Arno Schmidt) und wichtige literaturhistorischen Beziehungen (Herder, Goethe). TeilnehmerInnensollten sich in einen dieser Aspekte vertiefend einarbeiten und bei Vorbereitung und Moderation (Impulsreferat) der Sitzungen mitwirken; das Seminar wird vor allem aus gemeinsamer Textdiskussion bestehen.

Literatur Karl Philipp Moritz: Andreas Hartknopf. Andreas HartknopfsPredigerjahre, ders.. Anton Reiser, ders: Schriften zur Ästehtik (alleReclam)

Zur Einführung: Albert Meier: Karl Philipp Moritz, Stuttgart 2000; Robert Minder: Glaube, Skepsis und Rationalismus. Dargestellt aufgrund der autobiographischen Schriften von Karl Philipp Moritz, Frankfurt a.M.1974.

Redaktion, Lektorat – Publizieren / Dr. Claudia Hein

Das Seminar beschäftigt sich mit der Produktionsseite des literaturwissenschaftlichen Arbeitens und legt dabei den Fokus auf Fachzeitschriften als Publikationsorgane. Es gilt zunächst Einblick zu gewinnen in die oft verdeckt ablaufenden Prozesse des wissenschaftlichen Publizierens: Wie verläuft der Weg eines Textes vom Schreibtisch der Autor:innen bis hin zur Veröffentlichung? Wie sind wissenschaftliche Zeitschriften organisiert, wie finden Texte zu diesen, wer wählt aus, wie wird begutachtet, wer redigiert? Und was heißt das genau, Redaktionsarbeit?

In einem zweiten Schritt wollen wir der Frage nachgehen, was gute wissenschaftliche Texte eigentlich ausmacht und wie Texte im professionellen Lesen – also Lektorieren – strukturell wie stilistisch überarbeitet und inhaltlich geschärft werden können. Wissenschaftliches Schreiben ist eben auch ein Handwerk, für dessen Beherrschung es der richtigen ›Werkzeuge‹ bedarf – Werkzeuge, die nicht nur für eine potentielle Tätigkeit als Lektor:in oder Redakteur:in, sondern gleichermaßen für das Verfassen eigener Texte entscheidend sind.

Wir werden im Seminar anwendungsorientiert vorgehen: Die Teilnehmenden sollen sowohl als Lektor:innen wie auch als lektorierte Autor:innen tätig werden. In der gemeinsamen und wechselseitigen Lektüre von eigenen Texten gilt es zu erproben, wie sich ein Zeitschriftenheft erarbeiten und publikationsreif zusammenstellen lässt.

Der psychologische Roman: Anfänge und Entwicklung / Dr. Robert Buch

Der moderne Roman wird oft als Reaktion auf den Erfolg realistischen Erzählens im 19. Jahrhundert begriffen, dessen Regeln und Grundsätze er aufkündigt. Der Roman des 19. Jahrhunderts zeichnet sich indes nicht allein dadurch aus, dass er sich sozialen Lebenswelten zuwendet, für die es bis dahin keinen Platz im System der literarischen Gattungen gab. In zentralen Werken der Epoche rücken die subjektive Verfasstheit der Figuren und ihre Beziehungen in den Vordergrund, wogegen die historischen und sozialen Bedingungen des Geschehens an Bedeutung verlieren. Lassen sich die hier interessierenden ›psychologischen‹ Romane, im Englischen auch oft als novels of manners bezeichnet, nur noch bedingt dem Paradigma realistischen Erzählens zuordnen, so unterscheiden sie sich in ihrer ›Psychologie‹ zugleich deutlich von der emphatischen Innerlichkeit romantischer Subjektivität. Gefühle, Affekte, Begierden werden selten introspektiv behandelt, sondern eher dialogisch und über Konstellationen in den Blick genommen. Anders gesagt interessiert sich der Kurs dafür, wie aus der novel of manners der moderne psychologische Roman hervorgeht, in dem schließlich Bewusstsein selbst zum primären Schauplatz und Gegenstand des Erzählens wird. Zu den Autoren, die wir behandeln wollen, zählen Goethe, Jane Austen, Stendhal, Henry James und Robert Musil. Ein Nachfolgekurs wird sich ›Bewusstsein und Erzählen‹ im Roman des 20. Jahrhunderts widmen.

Zur Einführung:

++Lydia Ginzburg, On Psychological Prose. Princeton, NJ: Princeton UP, 1991.

++Dorrit Cohn, Transparent Minds. Narrative Modes for Presenting Consciousness in Fiction. Princeton, NJ: Princeton UP, 1978.

Forschungskolloquium / Prof. Dr. Daniel Weidner

Das Forschungskolloquium dient der Vorbereitung und Begleitung der Masterarbeit: Die TeilnehmerInnen entwickeln ihre thematischen Interessen, ihre Fragestellung und die Konzeption ihrer Arbeit und stellen das jeweils zur Diskussion. Darüber hinaus dient das Kolloquium zur Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen der Forschung, die Auswahl richtet sich hier ebenfalls nach den Interessen der Teilnehmerinnen. Auch allgemeine Fragen zur Schreib- und Arbeitspraxis sowie zum wissenschaftlichen Selbstverständnis können hier diskutiert werden – in diesem Zusammenhang werden wir auch einige grundlegende Texte über Literaturwissenschaft lesen.

Sommersemester 2021

Einführung in Positionen der Literaturtheorie / Claudia Hein

»Theorie kann man […] hassen oder auch fürchten. Doch nichts davon erweist sich als recht hilfreich« (J. Culler). Eine Skepsis gegenüber Theorie geht meist mit dem Übersehen eigener begrifflicher Selbstverständlichkeiten einher. Denn Theorie ist nichts Elitäres, ganz im Gegenteil: jedes Lesen basiert auf theoretischen Grundannahmen, seien diese unbewusst oder reflektiert.Das Seminar nimmt sich zum Ziel, in der gemeinsamen Lektüre wegweisende Positionen der Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts kennenzulernen, in ihrer Relevanz herauszuarbeiten und dabei wirklich verständlich und handhabbar zu machen. Die Auseinandersetzung mit Theorie soll jeder und jedem die Möglichkeit geben, den eigenen Umgang mit Text (wie Welt) zu erweitern und neue Perspektiven zu eröffnen.Lesen und diskutieren wollen wir Grundlagentexte des russischen Formalismus, der Hermeneutik, des Strukturalismus, Poststrukturalismus, Feminismus, der Psychoanalyse sowie postkolonialer Theorie.Zur Vorbereitung empfohlen: Stöbern und Lesen in Lexika (Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze, Personen, Grundbegriffe, hg. von Ansgar Nünning, Stuttgart 2013) und Einführungswerken (Terry Eagleton: Einführung in die Literaturtheorie, Stuttgart 2012).

Vorlesung: Tradition, Einfluss, Intertextualität. Modellierungen der Text-Text-Beziehung / Daniel Weidner

Literarische Texte stehen nicht für sich allein, sondern beziehen sich auf andere Texte. Diese Beziehung hat historisch verschiedene Formen angenommen und ist auch verschieden modelliert worden. Lange wurden einzelne Texte als Teil einer „Tradition“ betrachtet, aus der sich ihre Bedeutung speist; später sprach man von der der „Nachahmung“ anderer Texte oder vom „Einfluss“ einzelner Autoren auf andere. Im zwanzigsten Jahrhundert werden Theorien des „Intertextualität“ entwickelt, um einerseits eine besondere Poetik der Avantgarde und andererseits eine grundsätzliche Eigenschaft von literarischen Texten zu beschreiben. Gerade in diesem letzten Sinn ist Intertextualität zu einem wichtigen Stichwort geworden, von dem aus sich auch dekonstruktivistische Literaturtheorien, Fragen der Intermedialität und postkoloniales „writing back“ verstehen lassen.
Die Vorlesung gibt eine Einführung in das weite Feld der Text-Text Beziehungen und ihre Theoretisierung. Sie entwickelt die jeweiligen kulturellen Kontexte – etwa den religiösen Hintergrund des Traditionsbegriffes oder die genealogischen Implikationen der Vorstellung von „Einfluss“ bzw. „Nachahmung“ –  und betont die allgemeinen semiotischen, text- und literaturtheoretischen Implikationen der jeweiligen Theorien. An konkreten Beispielen aus der europäischen Literatur diskutiert sie Phänomene wie Zitat, Anspielung, Kontrafatkur, Imitation, Parodie, Übersetzung und Palimpsest und stellt die wichtigsten Theoretiker vor, u.a. Harold Bloom, Michail Bachtin, Julia Kristeva, Michael Riffaterre, Gérard Genette, Renate Lachmann.
Zur Einführung: Frauke Berndt/Lily Tonger-Erk: Intertextualität. Eine Einführung. Erich Schmidt Verlag 2013.

Aphorismus, Kalendergeschichte, Feuilleton. Reprisen der kleinen Form in der Moderne / Robert Buch

Der Kurs befasst sich mit der Tradition der kleinen Form und ihrer Wiederkehr in der Moderne. Unter den Sammelbegriff Kleine Formen fallen eine Vielzahl ähnlicher und doch heterogener Texte so beispielsweise die Prosaminiaturen Franz Kafkas und Robert Walsers, die Städtebilder Walter Benjamins und Siegfried Kracauers, Bertolt Brechts Kalendergeschichten, Theodor W. Adornos Denkbilder wie später die ironische Kurzprosa eines Thomas Bernhard, Ror Wolf oder Reinhard Lettau. Bei aller Unterschiedlichkeit hatten die vormodernen und frühneuzeitlichen Vorläufer der Kleinen Form wie Maxime, Aphorismus, Kalendergeschichte, Tableau und Feuilleton eine lebensweltliche, orientierende Funktion. Ein Teil dieser Vorläufer verweist zurück auf die Tradition der moralistischen Weisheitsliteratur (La Rochefoucauld, Gracián, Montaigne), die Ratschläge und lebenspraktische Anweisungen erteilt, der andere ist Ausdruck und Reaktion auf die neue Wirklichkeit der Stadt, inklusive der neuen Medien, die für viele der hier interessierenden Formate die Voraussetzung bildeten (Louis-Sébastien Mercier, Charles Baudelaire, Heinrich Heine). Der Kurs fragt, wie die Kleinen Formen ›funktionieren‹ und interessiert sich insbesondere für ihren Status zwischen der vormaligen lebenspraktischen und didaktischen Orientierung und ihrer spielerischen und experimentellen Reprise in der Moderne.

Jazz-Literatur. Inter- und transmediale Perspektiven / Claudia Hein

Jazz ist eine genuin kulturelle Schöpfung Nordamerikas, eine synkretistische Leistung, die zugleich mehr als 300 Jahre Sklaverei und Rassismus in sich trägt. Jazz war schon immer mehr als Musik, er gibt den 1920er und 30er Jahren den Namen (Jazz Age), ist way of life, aber auch Ausdruck tiefer Melancholie und Trauer, er bedeutet Aufbegehren, beständiges Überschreiten von Grenzen und ist Paradebeispiel künstlerischer Freiheit – »Improvisation is the heart and soul of jazz« (G. Schuller).Wir wollen uns im Seminar diesem kulturellen Konglomerat widmen und fragen, wie Musik das Medium wechseln und auf welche Art und Weise sich Jazz in schriftlich fixierter Form äußern kann. Sind Texte in der Lage zu improvisieren, können sie black and blue sein und wie lässt sich ihr ganz besonderer sound fassen? Jazz kann diskursiv verhandelt werden, er kann Thema und Motiv sein sowie als Strukturprinzip, Stil und Schreibweise von Prosa oder Lyrik fungieren. Es wird im Seminar um Fragen der Inter- und Transmedialität gehen (telling, showing), um Gattungsfragen vor dem Hintergrund der Überkreuzung von faktualem und fiktionalem Erzählen (Jazz-Biographien) und um kulturelle Aneignungsprozesse (Kreolisierung).In unseren Lektüren wollen wir dem Jazz ausgehend von zentralen Werken der black literature (James Baldwin, Ralph Ellison, Toni Morrison) in die Literaturen der Welt folgen (César Aira, Julio Cortázar, Günter Grass, Yoram Kaniuk, Jean-Paul Sartre, Michael Ondaatje, Boris Vian); lesen wollen wir aber ebenso (auto-)biographische Schriften über und von Jazzmusikern (Jean Améry, Louis Armstrong, Miles Davis, Billie Holliday) und publizistische Texte, die sich dem Jazz kreativ nähern und dabei eine literarische Sprache suchen. Zur Vorbereitung: Hören Sie Jazz! Lesen Sie sich ein in die Welt des Jazz (Geoff Dyer: But Beautiful. Ein Buch über Jazz, Frankfurt/Main 2003) und der Jazz-Literatur (Black and Blue. Literatur aus dem Jazz-Zeitalter, hg. von Hans Christoph Buch, Frankfurt/Main 1995).

Geschichten vom Selbst. Individualität erzählen in der Gegenwartsliteratur / Daniel Weidner

Der Roman gilt als Gattung des modernen Individuums: In ihm kommt das moderne „Selbst“ in seiner Tiefe und Breite zum Ausdruck, ein „Leben“ wird erzählt, das Besondere einer „Person“ dargestellt – literarische Form und unsere Vorstellungen von Selbstheit hängen hier offensichtlich eng zusammen. Was passiert mit diesem Zusammenhang im Zeichen sich beschleunigender Individualisierungsprozesse der Gegenwart? Wie lässt sich die spät- oder postmoderne Individualität erzählen? Und wie gehen moderne Roman mit diesen Vorgaben um? Wie verändert sich die Gattung und was können wir aus ihr über die Gegenwart und uns selbst lernen? Das Seminar diskutiert diese Fragen an drei Romanen der internationalen Gegenwartsliteratur: Richard Fords Independence Day (1995), Annie Ernaux’ Les Années (2008) und Karl Ove Knausgårds Sterben (2009).
Das Seminar beschäftigt sich mit den Romanen und ihren verschiedenen Schreibweisen, mit den Poetiken der AutorInnen und den kulturellen Hintergründen und literarischen Traditionen in denen sie stehen: etwa die american novel bei Ford, das life-writing und das weibliche Schreiben bei Ernaux sowie die Autofiktion bei Knausgård. Als Hintergrund werden wir auch einen Blick auf Konzeptionen der Individualisierung (Robert Bellah, Pierre Bourdieu, Andreas Reckwitz) werfen. Der Schwerpunkt besteht in (von Kleingruppen vorbereiteter) gemeinsamer Textarbeit an Ausschnitten der jeweiligen Romane, die wahlweise auf Englisch und Französisch oder in deutscher Übersetzung gelesen werden.

Israel in der hebräischen Gegenwartsliteratur / Tom Kellner

Seit Anfang der neunziger Jahre gehört die moderne hebräische Literatur zu den am stärksten in Deutschland vertretenen Literaturen. In diesem Kurs werden wir deutsche Übersetzungen von israelischer Gegenwartsliteratur lesen und an Texten von Autor*innen wie Amos Oz, Yoram Kaniuk, Orly Castel-Bloom, Sayed Kashua, Tomer Gardi und Zeruya Shalev diskutieren, wie dort jeweils das "Israelische" dargestellt und ins Deutsche übersetzt wird. Wir diskutieren Fragen der Übersetzung und der kulturellen Differenz im Rahmen der Theorie der Weltliteratur, die in der Auseinandersetzung mit der sich zunehmend globalisierenden Literatur der Gegenwart eine große Rolle spielt. Laut Kritiker*innen wie beispielsweise David Damrosch ist Weltliteratur dabei jene Literatur, die über ihre Ausgangssprache und -nationalität hinausgeht, Grenzen transzendiert und universell anerkannt wird. Andere haben das Konzept auf Grund der Unübersetzbarkeit von Texten aus verschiedenen Sprachen und Kulturen kritisiert oder gänzlich abgelehnt, wieder andere kritisieren den »linguistischen Imperialismus« der englischsprachigen Weltliteratur oder lehnen den »triumphalistischen Diskurses der Globalisierung« ab. Die Beschäftigung mit der Weltliteratur im Seminar wird sich daher auch mit anderen Fragen wie Postkolonialismus, Feminismus, Identitätspolitik etc. beschäftigen.

Literatur und Religion in der Aufklärung / Daniel Weidner

In der jüngeren Forschung zur Aufklärung wird das Verhältnis zur Religion neu verstanden. Aufklärung fällt nicht mehr mit der Religionskritik zusammen, sondern umfasst ein breites Spektrum bis zur religiösen Aufklärungen; auch antireligiöse Polemiken greifen oft auf Motive und Verfahren innerreligiöser Auseinandersetzungen zurück; in zentralen aufklärerischen Ideen wie „Tugend“, „Fortschritt“, „Autonomie“ und insbesondere in der Konzeption von „Religion“ wirken religiöse Konzeptionen und Vorstellungen nach. Das ist gerade für die Literatur des 18. Jahrhunderts wichtig, die sich ohne diesen Kontext nicht verstehen lässt und vielfältige und kreative Formen des Umgangs mit ihm entwickelt.
Das Seminar gibt einen Überblick über die verschiedenen Diskurspositionen - Pietismus, Deismus, Neologie, Atheismus etc. –  und verschiedenen Gattungen des Literatursystems im 18. Jahrhundert: Predigt, Lehrgedicht, geistliche Lyrik, „Heilige Poesie“, geistliche Autobiographie, Satire, Parodie, Dialog, und Apologetik sind oft durch religiöse Funktionen und Traditionen bestimmt, zeigen aber auch die Transformation bzw. Kritik der Religion. Die Leserevolution und die Herausbildung empfindsamer Lektürepraktiken lässt sich ebenso innerhalb desreligiösen Kontextes verstehen wie die Ende des Jahrhunderts entstehenden Projekte der Kunstästhetik, neuen Mythologie oder Kunstreligion. Das Seminar beschäftigt sich v.a. mit deutschsprachige Literatur (u.a. Brockes, Klopstock, Lessing, Nicolai, Mendelssohn, ,Herder, Moritz)  berücksichtigt aber auch französische (Voltaire, Rousseau) und englische (Deismus, Hume) Texte. Die Schwerpunktsetzung erfolgt je nach Interessen und Vorkenntnisse der Teilnehmenden.
Zur Einführung: Stephen J. Barnett: The Enlightenment and Religion: The Myths of Modernity, Daniel Fulda: Art. “Aufklärung” in: Daniel Weidner (Hg.) Literatur und Religion. Ein Handbuch, Stuttgart 2019, S. 147-154.

Realismus und Resignation. Realistisches Erzählen im späten 19. Jahrhundert / Robert Buch

Spätestens seit Flaubert ist Desillusionierung eines der zentralen Themen des realistischen Romans. So enden Madame Bovarys romantische Träumereien in der Katastrophe; die Ambitionen Frédéric Moreaus in L’Education sentimentale (Erziehung des Herzens) scheitern an der Kontingenz des Lebens, aber auch an der Mittelmäßigkeit des ›Helden‹. Der Kurs fragt nach den politischen, sozialen und kulturellen Hintergründen für diese Tendenz, aber auch, inwiefern Desillusionierung nicht nur auffällig häufig Sujet realistischen Erzählens ist, sondern ebenso auf der erzähltechnischen Ebene als das Programmwort von Realismus angesehen werden kann, insofern realistisches Erzählen mit den melodramatischen Konventionen des Romans bricht. -- Oder steht solche Desillusionierung nicht gerade umgekehrt eigentlich quer zu dessen Anspruch, Wirklichkeit darzustellen, also bei Lesern die Illusion (!) zu erzeugen, dass Dargestellte vor Augen zu haben und mitzuerleben? Wir lesen eine Reihe meist kurzer Romane bzw. längerer Erzählungen von Autoren wie Flaubert, Fontane, James, Conrad und Schnitzler. Darüber hinaus soll es um die paradigmatische Rolle des realistischen Romans im Verständnis dessen, was Literatur überhaupt ist, gehen. Dazu lesen wir einschlägige komparatistische Arbeiten von Erich Auerbach, Roland Barthes, Thomas Pavel, Guido Mazzoni.

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