Dissertationsprojekte
Schreiben wie ein Stroboskop. Chronistische Taktiken in der (deutschsprachigen) counterculture.
Leon Bertz
In den 1960er und 70er Jahren wittert William S. Burroughs einen unsichtbaren Gedankenkrieg, der mit dezenten aber verheerenden sprachlichen Mitteln geführt wird. Um sich das nicht gefallen zu lassen, ruft Burroughs zur Zerstückelung der herkömmlichen Sprache auf. Verändert man das Schreiben, verändert man die Welt – oder zumindest die Wahrnehmung davon. So lautet die These der von Burroughs angeführten Gegenkultur, die im Westdeutschland dieser Jahrzehnte auf fruchtbaren Boden fällt. Ploog, Fauser, Fichte, Brinkmann sind einige der Protagonisten einer unkoordinierten Revolutionsästhetik, die irgendwie alles anders machen will, vor allem das Schreiben. Dieses Schreiben ist oft wild und strukturlos, findet häufig tagebuchähnlich statt, in Episoden statt Geschichten, abgeschnittenen Detailbeobachtungen und diskontinuierlichen Reihen. Meine Arbeit fragt danach, was der Sinn dieser Schreibweisen sein könnte und verfolgt die These, dass sich eine Antwort finden lässt, wenn man sie auf ihre chronistische Struktur reduziert. Diese Struktur ist chaotisch statt logisch, vereinzelnd statt verschmelzend und bietet ein Darstellungspotential, das den ästhetischen Zielen der counterculture auffallend entgegenkommt.
„Kap der Guten Hoffnung […] im Ozean der Zukunft“?
Gedächtniskulturelle Narrative der zionistischen Utopie in der Literatur Mandatspalästinas/Israels
Brigitta Imme
Basierend auf der Gedächtnisforschung untersucht das Dissertationsprojekt ein diachrones Romankorpus, das die wechselvolle Geschichte Mandatspalästinas und Israels von den 1920ern bis in die 1960er Jahre erzählt und sie innerhalb eines ebenso dynamischen wie komplexen Spannungsfeldes von diasporischer Vergangenheit und israelischer Zukunft, Migration und Reise, Utopie und Dystopie sowie Traum und Trauma verortet. Das Erkenntnisinteresse der Arbeit bildet die Vermessung der unterschiedlichen erinnerungskulturellen Funktionen der Texte als erzähltheoretische ‚Modi der Rhetorik des kollektiven Gedächtnisses‘ (Erll). Die Untersuchung richtet den Fokus darauf, wie das nation building und die (vermeintliche) ‚Heimkehr in das Land der Väter‘ als Initialkräfte und Katalysatoren der Erfüllung jüdischer Geschichte in den korpuskonstituierenden Prosatexten Neue Menschen auf alter Erde von Felix Salten (1925), De Vriendt kehrt heim von Arnold Zweig (1932), Thieves in the night von Arthur Koestler (1946) und Der blühende Busch von Jenny Aloni (1964) literarisch inszeniert und semantisiert werden. Damit wird die erinnerungskulturelle Intention der Prosatexte, die seit ihrer Entstehung in zahlreiche, auch sie vereinnahmende Diskurse eingebettet sind, im Rahmen ihrer Untersuchung sichtbar gemacht und dem Gedächtnis der Texte eine Stimme verliehen.
Scheiternde Männer? Bürgerliche Männlichkeit(en) im deutschen Gegenwartsroman
Neela Janssen
Der Beobachtung folgend, dass in der deutschen Gegenwartsliteratur eine propagierte „Krise der Männlichkeit“ prominent verhandelt wird, fragt das Projekt nach der narrativen Inszenierung dieser Krise und ihren Implikationen für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse jenseits des Literarischen. Eine Ausgangsthese dabei ist, dass über die (Selbst-)Erzählung von verdrängter Männlichkeit unter anderem ein rhetorisches Inventar aktiviert wird, das im Sinne einer bürgerlichen Kulturkritik auf eine außerliterarische Gegenwart zu verweisen sucht. Mit Fokus auf Romane von Simon Strauß, Monika Maron und Thea Dorn soll rekonstruiert werden, wie an dieser Schnittstelle zwischen Fiktion und Gegenwartskommentar die partikular gewordene Position und Identität bürgerlicher Männlichkeit wieder in ein narratives Zentrum gerückt wird und gesellschaftliche Aufmerksamkeit einfordert.
Vom Sündenbock zum Selbstopfer.
Die Problematisierung jüdischer Selbstrepräsentation in deutsch-jüdischen Theatertexten des frühen 20. Jahrhunderts
Elisabeth Mittag
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhebt sich im Kontext jüdischer Erneuerungsbestrebungen die Forderung nach einer künstlerischen Selbstrepräsentation, die den bisher vorherrschenden stereotypisierenden Judenfiguren den ‚Juden unseresgleichen‘ entgegensetzen sollte. Das Dissertationsprojekt geht davon aus, dass in deutsch-jüdischen Theatertexten zugleich mit dem Versuch dieser Forderung nachzukommen, vermehrt auch eine metatheatrale Reflexion zu den damit verbundenen inhaltlichen und formalen Widrigkeiten stattfindet. Das Theater erscheint dort als ein besonders ambivalenter Raum jüdischer Selbstrepräsentation, in welchem das jüdische Selbst durch seine Repräsentation einerseits performativ behauptet und zugleich in Frage gestellt wird.
Die Dissertation vertritt die These, dass insbesondere in Opferfigurationen diese Spannung ihren Ausdruck findet. Dabei liegt das Forschungsinteresse vor allem auf der komplexen Konzeption der jüdischen Zentralfiguren als Selbstopfer. Die Frage ist, inwiefern anhand der Figur des Selbstopfers sowohl Aporien als auch spezifische Möglichkeiten theatraler Repräsentation reflektiert und erprobt werden. Untersucht werden Arnold Zweigs „Ritualmord in Ungarn“, Richard Beer-Hofmanns „Jaakobs Traum“ und Else Lasker-Schülers „Arthur Aronymus und seine Väter“.
Performing Gender in 18th-Century English and German Satire
Natalie Sauer
18th-century satire certainly has a preoccupation with gender. As an agent for negotiating gender norms in emergent public spheres, satire serves as a kind of pillory in print form, punishing and humiliating offenders in the narrated world with the purpose of instructing and delighting readers. Yet satire’s mode of instruction is anything but direct, since it violates the very norms that is seeks to affirm. In fact, it is precisely this unruly quality that makes satire a medium predestined for dealing with gender’s instability. In my dissertation project, I plan to explore how 18th-century English and German satire employs strategies such as wit and aggression in enacting gender difference. In doing so, performativity will provide an overarching concept for linking, one the one hand, satire’s theatrical character as well as its performative structure and, on the other hand, theoretical impulses on gender as an iterative act. By examining 18th-century English and German satires by both male and female authors like Charlotte Lennox and Christoph Martin Wieland, I will reconstruct what satire’s indirect mode of conveying meaning can reveal about contemporary debates on gender norms in all their complexity and regional differences.