Heinrich von Pfalzpaint - 'Wundarznei'
Heinrich von Pfalzpaint: Wundarznei (15. Jahrhundert)
Die ‚Wundarznei’ des Heinrich von Pfalzpaint ist im Jahr 1460 wohl auf der Marienburg im damaligen Preußen verfasst worden. Der Deutschordensritter Pfalzpaint war dort während der jahrelangen Belagerung als Wundarzt tätig und schrieb aus dieser Praxis heraus eines der berühmtesten medizinischen Lehrbücher des Spätmittelalters. Es beinhaltet eine der ersten überlieferten Darstellungen chirurgischer Eingriffe des christlichen Abendlandes, vor allem die deutschsprachige Ersterwähnung einer Nasentransplantation mittels gestieltem Lappen aus dem Oberarm. Trotz des großen Forschungsinteresses an der Rhinoplastik sind deren Textgrundlagen philologisch noch nie anhand der Gesamtüberlieferung untersucht worden. (siehe: Schnell 2008, 241, Anm. 53)
Die ‚Wundarznei’ ist in 11 bislang bekannten Handschriften überliefert (wovon eine nicht verfügbar ist). Alle verfügbaren Handschriften sind bereits digitalisiert und liegen der Arbeitsstelle des Mitantragstellers Prof. Dr. Solms vor. Die Transkription einzelner Teilabschnitte wurde durch die AG Solms bereits durchgeführt. Keine der Handschriften, die aus der Zeit von 1477 bis zum 16. Jahrhundert stammen und bislang nicht alle genau datiert und lokalisiert sind, zeigt wörtliche Übereinstimmung mit einer anderen. Deshalb ist die Ermittlung der Filiationsverhältnisse von größter Bedeutung. In Vorbereitung auf die geplante Neuedition des Gesamtbestandes müssen die einzelnen Überlieferungszeugen miteinander verglichen und ihre Beziehung zueinander ermittelt werden. Dies mündet in der Zuordnung der Texte zu Handschriften-Gruppen. Eine Pilotstudie ergab, dass sich die 10 Handschriften grob zwei Überlieferungssträngen zuordnen lassen: die Hallesche Handschrift gehört zusammen mit dem verschollenen Breslauer Codex zu dem ausführlicheren und möglicherweise editionstheoretisch ‚besseren’ Überlieferungszweig (vgl. auch: Schnell 2008, 241, Anm. 53).
Neben den herkunftsbedingt äußerst vielfältigen graphematischen Abweichungen der einzelnen Handschriften voneinander zeigen sich Abweichungen sowohl in Phonologie und Morphologie als auch in Lexik und Satzbau, bis hin zu fehlenden bzw. zusätzlichen oder verschobenen Abschnitten. Ein Vergleich auf der Wortebene ist daher nur sehr bedingt möglich – der Abgleich sollte eher auf Teilsatzebene erfolgen. Da spätmittelalterliche Handschriften keine streng geregelte Interpunktion kennen, muss jedoch zunächst durch Zeichensetzung eine Teilsatzabgrenzung ermöglicht werden.
Ein manueller Abgleich der einzelnen Handschriften ist sehr aufwendig, für ca. 1.500 Wortformen muss (nach erfolgter Transkription) ein Arbeitsaufwand von ca. 5-7 Stunden pro Handschrift geplant werden, bei über 700.000 Wortformen des Gesamtbestandes wären das ca. 3.000 Arbeitsstunden. Um diesen philologisch genauen Vergleich der einzelnen Handschriften zu ermöglichen, bedarf es einer computergestützten Auswertung der Handschriften-Teile, die Aussagen zu den Filiationsverhältnissen ermöglichen. Des Weiteren sollte versucht werden, graphematische und phonologische Besonderheiten eines Textes rechnergestützt zu ermitteln und zusammenzustellen. Mit Hilfe dieser Daten können die Handschriften genauer lokalisiert und datiert werden.
Dem hier beantragten Projekt liegt die von der AG Solms erstellte Transkription des Abschnittes Rhinoplastik aller Überlieferungen vor, ebenso eine Liste der Kodierungskonventionen. Es besteht Zugriff auf eine manuell durchgeführte Untersuchung mehrerer Überlieferungen von Teilen des transkribierten Abschnitts Rhinoplastik in Form tabellarischer Aufstellungen mit farblichen Markierungen zu lokalen Gemeinsamkeiten und Unterschieden.